Der Mantelerlass ist verabschiedet – nun gilt es die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen anzupacken

Der Mantelerlass ist verabschiedet – nun gilt es die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen anzupacken

Einschätzungen zur vom Parlament genehmigten Fassung des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien («Mantelerlass») für die Verteilnetzbetreiber

Das Parlament hat die Weichen für mehr Tempo in der Energiewende gestellt. Die Differenzbereinigung beim sog. «Mantelerlass» wurde erfolgreich abgeschlossen und das Gesetzespaket grossmehrheitlich vom Parlament verabschiedet. Dass nun ein privates Komitee aus Naturschützern ohne Unterstützung von Parteien und Verbänden ein Referendum angekündigt hat, ist aufgrund des breiten Kompromisses zwar schade, aber demokratisch legitim. Möglich also, dass die Stimmbevölkerung im Sommer 2024 noch über die Gesetzesrevision befinden darf. Alle betroffene Netzbetreiber und Energieversorger müssen sich – unabhängig davon – schon jetzt auf die rasche Umsetzung ab dem 1. Januar 2025 vorbereiten. Die neuen Vorgaben sind anspruchsvoll, entsprechend knapp ist die Zeit.

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1. Einleitung

Mit dem Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien soll die Energiewende endlich auch in der Schweiz forciert werden. Allein das Zubauziel für neue erneuerbare Energie (ohne Wasserkraft) von neu 35 TWh sowie weiteren 38 TWh aus Wasserkraft bis 2035 sind Vorgabe neuer Dimensionen, deren Erreichung nicht nur gute Rahmenbedingungen, sondern auch starke Investitionsanreize und deutlich schnellere Prozesse benötigt. Das Gesetzespaket geht aber weit über die Förderung von Zubau hinaus. Es beinhaltet unter anderem auch für die direkt betroffenen Energieversorger mehrere Verschärfungen und Neuerungen, welche insbesondere auch die rund 600 Verteilnetzbetreiber vor grosse Herausforderungen stellen werden. Die Erwartungen sind dabei hoch. Die Netzbetreiber sollen statt verhindern endlich aktiv die Energiewende unterstützen. Das Verständnis für die Anliegen der Netzbetreiber war entsprechend begrenzt.

Im vorliegenden Artikel fassen wir die für Netzbetreiber zentralen Konsequenzen der vom Parlament genehmigten Gesetzesrevisionen von Energiegesetz (EnG) und Stromversorgungsgesetz (StromVG) zusammen. Ob letztlich das Stimmvolk das letzte Wort zum Gesetz hat, wird sich bis Mitte Januar 2024 zeigen. Das aus Privatpersonen bestehende und bisher ohne Unterstützung durch Verbände und Parteien agierende Referendumskomitee hat bis dahin Zeit, die notwendigen 50'000 Unterschriften zu sammeln. Kommt das Referendum zu Stande, stimmt das Schweizer Volk voraussichtlich am 9. Juni 2024 über den Mantelerlass ab. Abwarten können dies die betroffenen Netzbetreiber und Energieversorger, aber auch die zuständigen Behörden, nicht. Mit einem geplanten Inkrafttreten per 1. Januar 2025 ist die Zeit zur Vorbereitung der Umsetzung aller Neuerungen bereits jetzt äusserst knapp.

2. Zubau und Förderung erneuerbarer Energie

Kernanliegen der Revision des Energiegesetzes (EnG) sind die Zubauziele für erneuerbare Energie sowie deren Beitrag zur Produktion im Winterhalbjahr. Währenddessen die Zielsetzungen des Zubau in Art. 2 EnG weitgehend unbestritten waren, entbrannte die Diskussion rund um die Solarpflicht für Gebäude (Art. 45a EnG) sowie um die Abwägung von Schutz und Nutzen. Bei der Solarpflicht wurde aufgrund grosser Differenzen zwischen National- und Ständerat letztlich mit Art. 45a bzw. 45b EnG nur eine Pflicht für Neubauten ab 300m2 sowie für Infrastrukturen des Bundes beschlossen. Es bleibt damit an den Kantonen, weitergehende Vorgaben im Rahmen der MuKEn und der kantonalen Energiegesetze zu prüfen.

Bei der Abwägung von Schutz und Nutzen hat das Parlament mit Art. 12 Abs. 2 EnG Lauf- und Speicherwasserkraftwerke, Pumpspeicherkraftwerke, Photovoltaikanlagen, Windkraftwerke, Elektrolyseure und Methanisierungsanlagen ab einer bestimmten, vom Bundesrat festzulegenden Grösse den Status des nationales Interessens zugesprochen. Dieses geht den Interessen von kantonaler, regionaler und lokaler Bedeutung vor. Gleichzeitig wurde aber der Bau solcher Anlagen mit Art. 12 Abs. 2bis EnG in Biotopen von nationaler Bedeutung nach Artikel 18a NHG und in Wasser- und Zugvogelreservaten nach Artikel 11 des Jagdgesetzes im Grundsatz ausgeschlossen. Mit Art. 2a EnG konnte zudem auch bei der Sistierung der Restwasserbestimmung ein Kompromiss gefunden werden. So kann der Bundesrat bei einer drohenden Mangellage eine Reduktion der Restwassermengen befristet erlauben. Diese Kompetenz gilt jedoch gemäss dem erzielten Kompromiss nicht bei fehlender Erreichung der Produktions- und Importziele.

Weitgehend unbestritten war die Erweiterung der Förderung mit dem Modell der gleitenden Marktprämie als Alternative zu den bereits etablierten Einmalvergütungen bzw. Investitionsbeiträgen. Art. 29a EnG regelt dieses der altrechtlichen Einspeisevergütung (KEV) mit Direktvermarktung sehr ähnliche Modell für neue Wasserkraftanlagen ab 1 MW, bestehende mit erheblichen Erweiterungen oder Erneuerungen ab 300 kW, PV-Anlagen ohne Eigenverbrauch ab 150 kW, Windenergie- und Biomasseanlagen. Inwiefern dabei die Grundidee dieses Fördermodells mit Ausschreibungen aufgrund der begrenzten Anzahl vergleichbarer Projekte in der Schweiz auch ausserhalb des PV-Segments realisiert wird, bleibt abzuwarten. Es besteht hier zumindest die Gefahr, dass die effiziente und marktnahe Ausgestaltung des Modells verloren gehen könnte.

3. Harmonisierte Rückspeisevergütung

Bei der Rückliefervergütung hat das Parlament eine schweizweite Harmonisierung zu Marktpreisen beschlossen. Mit dem revidierten Art. 15 Abs. 1bis EnG wird festgelegt, dass weiterhin die Netzbetreiber die ihnen in ihrem Netzgebiet angebotene Elektrizität (sowie das Biogas) abnehmen und vergüten müssen. Die Vergütung für erneuerbaren Strom soll sich dabei aber neu schweizweit einheitlich nach dem vierteljährlich gemittelten Marktpreis zum Zeitpunkt der Einspeisung richten. Die Netzbetreiber sollen die damit verbundenen Beschaffungskosten gemäss Art. 6 StromVG in ihrer Grundversorgung anrechnen können.(1) Neu soll der Bundesrat zur Verbesserung der Investitionssicherheit für Anlagen bis zu einer Leistung von 150 kW eine Minimalvergütung festlegen, welche sich an der «Amortisation von Referenzanlagen über ihre Lebensdauer»orientiert. Hier wird spannend zu sehen sein, für welche Höhe und welche Abstufungen sich der Bundesrat entscheidet. Er wird sich dabei wohl an den bisherigen Ansätzen der Einspeisevergütung orientieren müssen.

Diese Neuregelung einer einheitlichen Vergütung aller Einspeisungen in der Schweiz zum Marktpreis ist grundsätzlich sehr zu begrüssen. Gleichzeitig wird damit die Volatilität der Abgeltungen, je nach Spot-Markt-Preisen, deutlich steigen. Dies und die damit verbundene Abkoppelung von den Stromtarifen wird vielen kleineren Produzenten (Prosumer) schwerfallen. Solche Produzenten werden dabei zunehmend auch Angebote Dritter mit Mehrjahresverträgen prüfen. Ob Netzbetreiber solche ebenfalls anbieten können, ist zumindest aufgrund des sehr abschliessenden Wortlauts des Gesetzes unklar. Hier wäre eine entsprechende Klarstellung mit der Möglichkeit marktorientierter Angebote auf Stufe der Verordnung wichtig. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass eine fehlende Regelung im Umgang mit Wechseln zwischen Angeboten und der Abnahmepflicht des Netzbetreibers aufgrund der Minimalvergütungen wiederum starke Fehlanreize mit sich bringen dürfte.

4. Effizienzvorgaben

Gänzlich neu und entsprechend umstritten war die Vorgabe eines Effizienzmarktes für Elektrizitätslieferanten gemäss Art. 46b EnG. Das Parlament hat sich letztlich für dieses Modell ausgesprochen, diesem aber durch Verzicht auf Sanktionsbestimmungen zumindest teilweise die Zähne gezogen. Dennoch kommt auf alle Elektrizitätslieferanten – und damit auch auf alle Grundversorger – ein komplett neues Regelwerk mit neuen Effizienzaufgaben zu. Die Elektrizitätslieferanten sollen neu Zielvorgaben zur Steigerung der Effizienz beim Elektrizitätsverbrauch bestehender elektrischer Geräte, Anlagen und Fahrzeuge bei ihren Endverbrauchern erfüllen (Abs. 2). Soweit die Lieferanten bzw. Versorger diese Zielvorgaben nicht selber erfüllen können, erwerben sie entsprechende Nachweise. Damit wird ein Markt für sog. «weisse Zertifikate» geschaffen.

Die Zielvorgabe für die Lieferanten bzw. Versorger entspricht gemäss Abs. 4 des neuen Artikels einem bestimmten Anteil seines Absatzes des Vorjahres bei seinen Endverbrauchern. Soweit sie dieses Ziel verfehlen, müssen sie den fehlenden Teil in den folgenden drei Jahren zusätzlich erfüllen. Eine direkte (finanzielle) Sanktion wurde hier gestrichen.

Für die meisten Netzbetreiber mit Grundversorgungsauftrag bedeutet diese Vorgabe eine vollständig neue Aufgabe im Bereich der Energieeffizienz. Nur wenige Akteure haben sich bisher aktiv in diesem Markt bewegt und sich auf ein solches Modell vorbereitet. Nun gilt es für alle betroffenen Versorger zu prüfen, mit welchen Instrumenten die Zielvorgaben erreicht und wie die dazu notwendigen Ressourcen, v.a. auch personell, bereitgestellt werden sollen. Die berühmten Details zu diesem neuen Markt werden sich im Verlauf des nächsten Jahres mit der Verordnung zeigen müssen. Es lohnt sich aber bereits jetzt, sich zum Thema aufgrund verfügbarer Studien oder Erfahrungsberichten aus anderen europäischen Ländern einzulesen.

5. Neuregelung der Grundversorgung

Wie aufgrund der politischen Einschätzungen zu erwartet war, hat das Parlament vorderhand auf eine vollständige Marktöffnung verzichtet. Ein Antrag für eine vollständige Marktöffnung wurde im Nationalrat mit 163 zu 28 Stimmen klar abgelehnt. Nationalrat Paganini hat diesbezüglich aber richtigerweise festgehalten, dass mit der Ablehnung die Frage der Strommarktliberalisierung nicht ein für alle Mal vom Tisch sein wird. Diese Frage werde das Parlament wieder einholen, wenn ein Stromabkommen mit der EU irgendeinmal greifbar wird.

Gleichzeitig hat sich das Parlament gemäss dem Willen des Nationalrates zu einer weitgehenden Neuregelung der damit verbleibenden Grundversorgung bekannt. So müssten die Netzbetreiber mit Grundversorgung nach dem Willen des Parlaments neu gemäss Art. 6 Abs. 5 StromVG über einen Mindestanteil an Eigenproduktion aus erneuerbarer Energie aus dem Inland für die Grundversorgung verfügen. Während der Nationalrat 50% als Mindestanteil festschreiben wollte, hat sich der Ständerat hier letztlich mit einer Kompetenzdelegation an den Bundesrat durchgesetzt. Es obliegt nun dem Bundesrat zu definieren, welche Anteile an Eigenproduktion für die Grundversorgung vorgegeben werden sollen. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber auch den Begriff der «erweiterten Eigenproduktion» neu in Art. 4 Abs. 1 lit cbis StromVG als Elektrizitätsproduktion aus eigenen Anlagen und aufgrund von Bezügen, die auf Beteiligungen beruhen, definiert; gleichgestellt ist Elektrizität aufgrund der Abnahmepflicht nach Art. 15 EnG. Reicht die so definierte erweiterte Eigenproduktion nicht für die Erreichung dieser Mindestquote der Grundversorgung aus, so müssen die Grundversorger die nötigen inländischen Mengen über mittel- und langfristige Bezugsverträge beschaffen. Klargestellt wird mit dem revidierten Art. 5bis lit. d Ziff. 1 auch, dass bei eigenen Anlagen oder beteiligungsbedingten Bezügen die durchschnittlichen Gestehungskosten dieser ganzen Produktion zur Anrechnung kommen müssen. Eine adverse Selektion einzelner Produktionsanlagen für die Grundversorgung wird also weiterhin nicht zulässig sein.

Es wird hier spannend zu sehen sein, wie der Bundesrat nun diese Mindestquoten festlegen wird. Während eine höhere Quote von 50% und mehr für alle nicht-produzierenden Verteilnetzbetreiber eine Herkulesaufgabe darstellt, ist eine Quote von 50% oder weniger für alle grösseren Produzenten mit Grundversorgung im Vergleich zur aktuellen Regulierung eine Chance mit deutlichen Freiheitsgraden zur freien Vermarktung der die Quote übersteigenden Eigenproduktion. Wie sich dies auswirkt, hängt stark von den sehr unterschiedlichen Portfolien der Versorger ab und ist schwierig vorherzusagen. Für Bundesrat und Verwaltung keine einfache Aufgabenstellung.

Neben dieser neuen Vorgabe der Eigenproduktion beinhaltet der revidierte Art. 5bis mehrere Vorgaben zur Beschaffung der restlichen Strommengen. So müssen die Netzbetreiber die erforderliche Elektrizität mit Beschaffungsstrategien, die sie möglichst gegen Marktpreisschwankungen absichern, beschaffen. Diese Vorgabe ist das direkte Resultat der teilweise sehr schlecht erfolgten Beschaffungen einiger Netzbetreiber im Kontext der Energiekrise im vergangenen Jahr. Weiter können die Versorger neu einerseits die Beschaffungen für die Grundversorgung und andererseits für die Endverbraucher, die von ihrem Netzzugang Gebrauch machen, direkt trennen. Damit wird die sog. «Durchschnittspreismethode» der ElCom aufgehoben. Die Versorger weisen dazu die Bezugsverträge, mit der ganzen oder einem Teil der Elektrizitätsmenge, mit Wirkung für die gesamte Laufzeit dem jeweiligen Segment zu und dokumentieren dies. Letztlich sollen die Grundversorger die Beschaffungen neu ohne Ausschreibung vornehmen können. Sie müssen aber ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren gewährleisten.

Wir sind aus jahrelanger Praxis und zahlreichen Verfahren zur bisher sehr dürftigen und unglücklichen Regulierung der Grundversorgung klar der Meinung, dass diese Neuregelung eine Chance darstellt. Zwar ist eine Neuregelung mit einer Mindestquote der Eigenproduktion für die Grundversorgung auch alles andere als perfekt. Gerade im Zeitpunkt hoher Marktpreise besteht das erhebliche Risiko, dass nun langfristige Bezugsverträge zu deutlich zu hohen Preisen abgeschlossen werden. Aber letztlich gibt es für eine Regulierung der Grundversorgung keine richtig gute Lösung, ausser der Marktöffnung. Da letztere politisch nicht opportun ist, musste die Regulierung angepasst werden. Mit der Abschaffung der stark verzerrenden Durchschnittspreismethode bei der Beschaffung ist das Parlament letztlich einem gewichtigen Anliegen der Branche gefolgt.(2)

6. Unbundling

Die von der Kommission des Nationalrats vorgeschlagene Verschärfung des Unbundling hat die potentiell betroffenen Verteilnetzbetreiber regelrecht aufgeschreckt. So hätten nach dem Wortlaut der Kommission von Art. 10 Abs. 1bis StromVG alle Energieversorger ihren Netzbetrieb «institutionell, rechtlich und administrativ» vollständig vom übrigen Geschäft trennen müssen, was faktisch einer Strukturreform der ganzen Branche gleichgekommen wäre. Die meisten der rund 600 Verteilnetzbetreiber hätten sich faktisch für den Netzbetrieb oder den Verkauf ihres Netzes entscheiden müssen, weil eine vollständige personelle Trennung aufgrund der Grösse gar nicht umsetzbar gewesen wäre. An diesem Grundproblem änderte auch die von Nationalrat Jauslin als Antragssteller selbst eingebrachte Präzisierung nichts, wonach die Verteilnetze «nur» organisatorisch entflochten werden sollen. Bundesrat Rösti sprach sich im Namen des Bundesrates dennoch für diesen weitgehenden Unbundling-Antrag aus. Dies sollte den Netzbetreibern zumindest ein Fingerzeig hinsichtlich der Umsetzung der aktuellen Entflechtungsvorgaben sein.

Der Nationalrat hat letztlich in diesem Punkt entgegen seiner Kommission alle vorgeschlagenen Verschärfungsvarianten auf Antrag von Nationalrat Bäumle verworfen. Auch der Ständerat hat dieses Thema nicht mehr aufgegriffen. Art. 10 StromVG bleibt damit vorerst, bis zu einem allfälligen EU-Stromabkommen, unverändert.

7. Befreiung der Speicher von Netznutzungsentgelten

Im Parlament weitgehend unbestritten waren die von der Kommission des Nationalrats eingebrachten Vorschläge zur Netzentgeltbefreiung von Speichern und Power-to-X-Anlagen. Das Parlament ermöglicht mit dem neuen Art. 14a StromVG neu auch die teilweise Befreiung von Speichern mit Endverbrauch. Konkret sollen gemäss Abs. 4 lit. a die Netzbetreiber den Betreibern von Speichern mit Endverbrauch das Netznutzungsentgelt auf Antragzurückerstatten. Eine Rückerstattung gibt es nur für diejenige Elektrizitätsmenge, die nach dem Bezug aus dem Netz und nach der Speicherung zu einem spätere Zeitpunkt zurückgespeist wird. Damit soll insbesondere auch dem «Vehicle-to-Grid»-Ansatz zum Durchbruch verholfen werden. Vergleichbare Rückerstattungen sind gemäss Abs. 4 lit. b bzw. lit. c auch für Power-to-X-Anlagen vorgesehen. Hiervon sollen befristet insbesondere auch Pilotanlagen mit erneuerbarer Energie mit einer Leistung von insgesamt 200 MW profitieren, bei welchen keine Rückverstromung ins Stromnetz erfolgt (was der Regelfall bei Power-to-X ist).

Die Netzbetreiber werden hier gefordert sein, die Speicherbetreiber zu informieren und die entsprechend differenzierte Abrechnung von Aus- und Wiedereinspeisung korrekt vorzunehmen. Hierzu sind insbesondere Anpassungen an den Messkonzepten und Abrechnungssystemen notwendig.

8. Netzverstärkung

Deutlich umfassendere Diskussionen löste der neue Art. 15b StromVG hinsichtlich der Kosten für Netzverstärkungen aus. Das Parlament hat sich hier letztlich zum bisherigen System der solidarischen Kostentragung über Swissgrid bekannt und dieses gestärkt. Die Idee, dass die einzelnen Verteilnetzbetreiber diese Kosten selbst über die lokalen Netzentgelte hätten finanzieren müssen, wurde verworfen.

Bei Netzverstärkungen für erneuerbare Energieerzeugungsanlagen (EEA) auf NE 5 und höher sind weiterhin einzelfallweise Anträge an die ElCom (wie bisher) notwendig. Neu sollen Netzverstärkungen für erneuerbare EEA auf NE 7 nur noch pauschal abgegolten werden. Dies soll die Abwicklung massiv vereinfachen. Neu werden nach Abs. 4 des Artikels auch Anschlussleitungen von grösseren erneuerbaren EEA (> 50 kW) finanziert. Diese Kosten mussten bis dato die Produzenten selbst tragen. Neu sollen diese Kosten ab der Parzellengrenze bis zum Netzanschlusspunkt ebenfalls als Kosten des Übertragungsnetzes anrechenbar sein. Der Bundesrat kann dabei ein Maximum der anrechenbaren Kosten pro kW der Anlage festlegen. Verbleibende Verstärkungskosten sind somit weiterhin durch den Produzenten zu tragen.

Das Parlament erhofft sich durch diese Erweiterung der Netzverstärkungsfinanzierung eine weitere Stärkung des Zubaus an erneuerbarer EEA im Inland.

9. Messwesen

Die Teilliberalisierung des Messwesens fand letztlich im Parlament keine Mehrheit. Jedoch steigen die Anforderungen für die Netzbetreiber, welche fürs Messwesen verantwortlich bleiben, weiter an. Konkret werden die Netzbetreiber gemäss Art. 12 bzw. Art. 17a StromVG neu verursachergerechte und von den Netzentgelten entflochtene Messtarife festlegen und verrechnen müssen. Dabei darf das erhobene Messentgelt analog zu den Netzentgelten die anrechenbaren Messkosten nicht übersteigen. Deckungsdifferenzen sind zeitnah auszugleichen.

Darüber verschärft der revidierte Art. 17abis StromVG die Vorgaben bezüglich dem Smart Metering. Konkret müssen die Netzbetreiber die Teilnehmer eines ZEV oder für eine neu mögliche lokale Elektrizitätsgemeinschaft («LEG»; siehe Ziff. 11 nachstehend) sowie Speicherbetreiber auf deren Verlangen mit einem intelligenten Messsystem ausstatten. Der Bundesrat legt für diese Ausstattung eine angemessene Frist von wenigen Monaten fest. Diejenigen Akteure, bei denen der Abruf der eigenen Messdaten mit dem vom Netzbetreiber eingesetzten intelligenten Messsystem nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form gewährleistet ist, haben Anspruch, das Messsystem auf dessen Kosten durch einen zusätzlichen Elektrizitätszähler zu ergänzen. Diese Kosten sind keine anrechenbaren Messkosten des Netzbetreibers. Die Zählerergänzung würde einer Bewilligung der ElCom bedürfen und voraussetzen, dass diese dem Netzbetreiber vorgängig eine Frist von 30 Tagen zur Behebung der bestehenden Mängel eingeräumt hat.

Das Parlament hat mit dieser «Ersatzvornahmelösung» einen Kompromiss als Alternative zur Teilmarktliberalisierung gewählt. Es wird sich zeigen, wie die Netzbetreiber unter Druck von kostenpflichtigen Ersatzvornahmen, mit der Weiterentwicklung im Messwesen umgehen werden. Zumindest ist in diesem Fall der Investitionsschutz für das Smart Metering weitgehend gewährleistet. Der Druck auf die Netzbetreiber für die entsprechenden Anspruchsgruppen rasch zu liefern, steigt aber weiter. Roll-out-Planung hin oder her.

10. Flexibilität

Hinsichtlich der Flexibilitätsnutzung durch Netzbetreiber hat sich der Parlament im Sinne des Nationalrat für eine «Opt-out»-Regelung zugunsten der Netzbetreiber ausgesprochen. Gemäss dem neuen Art. 17c Abs. 3 StromVG soll der Einsatz von intelligenten Steuer- und Regelsystemen durch den Netzbetreiber solange möglich sein, bis die Flexibilitätsinhaber diesen untersagen. Der Netzbetreiber ist aber verpflichtet, den Kunden über diese Nutzung zu informieren. Konkret wird der Bundesrat regeln, wie die Verteilnetzbetreiber die Flexibilitätsinhaber über diesen Einsatz informieren und wie die Modalitäten für ein Untersagen sind.

Neu bestehen mit Art. 17c Abs. 4 StromVG dem Netzbetreiber sogenannte «garantierte Nutzungen» von Flexibilität zu. Während die Nutzung von Flexibilität bei einer unmittelbaren erheblichen Gefährdung des sicheren Netzbetriebs (lit. b) bereits im heutigen Recht enthalten sind, kommt mit der Abregelung eines bestimmten Anteils der Einspeisung am Anschlusspunkt (lit. a) ein neues Recht dazu. Dieses Recht ist wichtig, da damit eine Abregelung von EEA (v.a. PV) auch ohne Zustimmung des Produzenten möglich sein wird. Im Unterschied zu vertraglich erschlossenen Flexibilitätsnutzungen gemäss Abs. 2 hat dabei das Parlament die Vergütungspflicht für solche garantierten Nutzungen im Rahmen der Beratung gestrichen. Neu wird es also den Netzbetreiber unter den in der Verordnung zu klärenden Bedingungen möglich sein, eine gewisse netzdienliche Abregelung von lokalen Erzeugern ohne Vergütung vorzunehmen. Dieses Recht ist zwar aus Sicht der Netzbetreiber (bzw. der Netzkosten) positiv, der gänzliche Verzicht auf eine Vergütung jedoch den abgeregelten Produzenten anspruchsvoll zu kommunizieren. Zwar ist die damit verbundene Ertragseinbusse nicht allzu hoch, aber sie ist dennoch da. Es ist fraglich, ob eine marktbasierte Vergütung, gerade bei starker Netzeinspeisung von PVA und entsprechend tiefen Preisen, nicht angezeigt gewesen wäre.

11. LEG

Unbestritten waren im Parlament die vom Ständerat mit dem neuen Art. 17d StromVG eingeführten lokalen Elektrizitätsgemeinschaften «LEG». Die damit verbundene Entsolidarisierung bei den Netzkosten wird bewusst in Kauf genommen, um die Dezentralisierung und die Beteiligung von bisher nicht an der Energiewende teilhabenden Endverbrauchern fördern zu können. Dabei können Endverbraucher, Erzeuger von Elektrizität aus erneuerbaren Energien und Speicherbetreiber sich zu einer «LEG» zusammenschliessen und die selbst erzeugte Elektrizität innerhalb dieser Gemeinschaft absetzen. Voraussetzungen dafür sind insbesondere das gleiche Netzgebiet, die gleiche Netzebene sowie eine örtliche Nähe. Das Parlament hat hier die Ausdehnung auf maximal das Gebiet einer Gemeinde begrenzt. Während dies gemäss der Beratung im Parlament bei kleinen Gemeinden eine ganze Gemeinde sein soll, sollen insbesondere bei Städten kleine Einheiten («Quartiere») als Begrenzung definiert werden. Die genaue Definition wird auch hier die Verordnung zeigen.

Gemäss dem Willen des Nationalrats hat das Parlament letztlich das Recht auf Netzzugang der ganzen «LEG» und damit auf eine Liberalisierung durch die Hintertür verzichtet. Massgebend für den Netzzugang bleiben die einzelnen Endverbraucher in der «LEG».

Für die Inanspruchnahme des Verteilnetzes hat der Verteilnetzbetreiber einen speziellen Netznutzungstarif zu gestalten. Nach dem Willen des Parlaments ist ein Abschlag von maximal 60% des sonst üblichen Tarifs festzulegen. Der Bundesrat hat nun die Aufgabe, die Höhe des Abschlages abgestuft für die verschiedenen netztopologischen Konfigurationen (in Abhängigkeit der Anzahl Netzebenen) von LEG konkret festzulegen.

12. Fazit

Die Vorlage ist umfassend und darf als Erfolg der energiepolitisch vorwärts orientierten Kräfte der Politik gewertet werden. Die Ankündigung eines Referendums durch einzelne private Naturschützer ist zwar ärgerlich, sollte die breite Zustimmung zum für alle Akteure wichtigen Erlass jedoch nicht erschüttern. Es bleibt abzuwarten, ob es überhaupt zustande kommt. Falls ja, wird es wichtig sein, die Bedeutung der Gesetzesrevision im Kontext von Energiewende und Versorgungssicherheit und die damit verbundenen Vorteile der Schweizer Bevölkerung zu erklären. Dabei haben auch die Netzbetreiber eine wichtige Rolle. Sie sind gefordert – obwohl das Gesetz zahlreiche Verschärfungen und neue Herausforderungen für Sie beinhaltet – die neuen Rahmenbedingungen als politischer Wille anzunehmen und die damit verbundenen Chancen zu packen.

Wie zu erwarten war, hat der Mut für den grossen Wurf mit einem offenen Markt gefehlt. Zu unklar ist die Situation mit der EU, zu nah die extremen Strompreise der letztjährigen Energiekrise und zu riskant eine mögliche Ablehnung der gesamten Vorlage an der Urne. Dies ist einerseits im Sinne von «Realpolitik» verständlich, andererseits aber aufgrund der zahlreichen notwendigen politischen Kompromisslösungen bedauerlich. Für die Netzbetreiber werden die Konsequenzen aber auch ohne Marktöffnung sehr spürbar. Die Vorgabe von Effizienzzielen, die neuen Vorgaben zur Grundversorgung und im Bereich Messwesen werden die Netzbetreiber in der Umsetzung stark fordern.

Für die Netzbetreiber heisst es, unabhängig einer möglichen Referendumsabstimmung, sich mit den neuen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen und die Herausforderungen mit einer positiven Grundhaltung anzugehen. Die Energiewende schaffen wir in der Schweiz nur gemeinsam: Produzenten, Netzbetreiber und Verbraucher. Was wir dazu brauchen, sind rasch klare und stabile Rahmenbedingungen.


 

Verweise

Bildnachweis: Bild von Alberto Masnovo auf istockphoto.com

1) Das bereits heute bestehende Problem, dass nicht sämtliche Netzbetreiber Grundversorger sind, wird dabei weiterhin nicht adressiert.

2) Vgl. VSE, Mitteilung zum Mantelerlass vom 16. Juni 2023.

Markus Flatt

Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Regulierungsmanagement, Transaktionsbegleitung, betrieblichem Rechnungswesen und Rechtsformänderungen. Als Experte und Gutachter bin ich für Energieversorger einerseits sowie für Verbände und Behörden andererseits tätig.