Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber

Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber

Umfrageergebnisse

Im Sommer 2019 führte die EVU Partners AG eine Online-Umfrage zum Thema «Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber» durch. Dabei wurde analysiert, welche neuen Geschäftsmodelle die Verteilnetzbetreiber aktuell entwickeln oder bereits im Markt eingeführt haben, sowie welche neuen Geschäftsmodelle aus Sicht der Verteilnetzbetreiber erfolgreich und wirtschaftlich sind.


 

1. Ausgangslage

Die zunehmend härteren Umwelt- und Marktbedingungen in der Schweizer Strombranche hinterlassen bei den Verteilnetzbetreibern (VNB) erste Spuren. Es stellt sich nun die Frage, wie die Unternehmen diese Herausforderungen angehen. Eine Möglichkeit ist die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.

Zwischen Juli 2019 und August 2019 führte die EVU Partners AG eine Online-Umfrage bei Führungskräften von VNB zum Thema «Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber» durch. Die Umfrage beinhaltete 23 offene und geschlossene Fragen. Mit der Umfrage wurde beabsichtigt, ein vertieftes Verständnis über den aktuellen Stand der Entwicklung und Markteinführung von neuen Geschäftsmodellen zu gewinnen. Die VNB zeigten ein grosses Interesse an der Umfrage: Rund ein Viertel aller VNB in der deutschsprachigen Schweiz bzw. 161 Unternehmen nahmen an der Umfrage teil. Der Anteil der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen war pro Grössenkategorie ähnlich hoch. Die VNB sind neben Strom oft auch in anderen Sparten wie Wasser (59% der Unternehmen), Wärme / Kälte (45%), Kommunikationsdienstleistungen (44%) und Gas (32%) tätig. Eine Vielzahl der VNB kann somit als sogenanntes «Querverbundunternehmen» charakterisiert werden.

Im vorliegenden Artikel werden die zentralen Ergebnisse der Umfrage vorgestellt. Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf einer Präsentation der EVU Partners AG an der Betriebsleitertagung des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) am 19./20. September 2019 in Brunnen.

2. Begriff des Geschäftsmodells

In der Umfrage wird unter dem Begriff «Geschäftsmodell» das Grundprinzip verstanden, wie ein VNB Werte schafft. Das Geschäftsmodell reflektiert die logischen Zusammenhänge der Geschäftstätigkeit des VNB. Es besteht grundsätzlich aus vier Dimensionen:

Dimensionen Geschaeftsmodell

Abbildung 1: Dimensionen eines Geschäftsmodells (1)

  1. Kunde: Für jedes erfolgreiche Geschäftsmodell muss ein Unternehmen genau verstehen, welches die relevanten Kundensegmente sind, die adressiert werden sollen, und welche nicht. Der Kunde steht im Zentrum jedes Geschäftsmodells – immer und ohne Ausnahme.
  2. Nutzenversprechen: Das Nutzenversprechen beschreibt, was den Zielkunden angeboten wird, um deren Bedürfnisse zu befriedigen. Es beschreibt alle Leistungen eines Unternehmens (Produkte und Dienstleistungen), die dem Kunden von Nutzen sind.
  3. Wertschöpfungsarchitektur: Um das Nutzenversprechen zu erzielen, muss ein Unternehmen für die Erstellung der Produkte und Dienstleistungen verschiedene Prozesse und Aktivitäten durchführen. Diese Prozesse und Aktivitäten zusammen mit den involvierten Ressourcen und Fähigkeiten und ihrer Koordination bilden die Wertschöpfungsarchitektur.
  4. Ertragsmechanik: Die Ertragsmechanik erklärt, warum ein Geschäftsmodell finanziell überlebensfähig ist. Es beinhaltet Aspekte auf der Ertrags- und auf der Aufwandseite. Schlussendlich geht es darum, wie mit dem Geschäft Geld verdient wird.

Es stellt sich nun die Frage, wie neue Geschäftsmodelle entstehen. In der Regel sind neue Geschäftsmodelle eigentlich nur Weiterentwicklungen von bestehenden Geschäftsmodellen. Durch die Klärung und Konkretisierung der genannten vier Dimensionen wird das Geschäftsmodell fassbar und ermöglicht dadurch seine Weiterentwicklung. In den seltensten Fällen sind neue Geschäftsmodelle wirkliche Innovationen. In der Umfrage wurden unter dem Begriff «neues Geschäftsmodell» Geschäftsmodelle verstanden, die in der Vergangenheit von den meisten VNB in ihrer Geschäftstätigkeit nicht angewendet wurden und erst kürzlich zu einem Element der Geschäftstätigkeit geworden sind (z.B. virtuelle Kraftwerke für Endkunden, Speicherangebote, Abrechnungsdienstleistungen für Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch, etc.).

3. Umfrageergebnisse

3.1 Verbreitung neuer Geschäftsmodelle

Eine grosse Mehrheit (85%) der an der Umfrage teilnehmenden VNB beschäftigt sich mit neuen Geschäftsmodellen. Sie setzen sich vor allem mit neuen Geschäftsmodellen auseinander, um sich am Markt zu positionieren, um Kundenbedürfnissen zu entsprechen und um eine Margenerosion zu kompensieren.

Eine Minderheit (15%) der Unternehmen beschäftigt sich hingegen nicht mit neuen Geschäftsmodellen. Als Gründe dafür wurden hauptsächlich ein fehlender politischer Druck (56 % der Unternehmen), fehlende Kundenbedürfnisse (56%) und ein fehlender Auftrag des Eigentümers (28%) genannt. Die meisten Unternehmen, die keine neuen Geschäftsmodelle haben, haben einen Stromabsatz unter 20 GWh pro Jahr.

3.2 erfolgreiche Geschäftsmodelle

«Erfolg» im Kontext von neuen Geschäftsmodellen bedeutet nicht für alle VNB das Gleiche. Gemäss den an der Umfrage teilnehmenden VNB kann man von erfolgreichen Geschäftsmodellen sprechen, wenn diese primär wirtschaftlich sind, die Wettbewerbsfähigkeit stärken und das Image als innovatives Unternehmen erhöhen. Kaum genannt werden Kriterien wie «Expansion in andere Netzgebiete», «Umsatzkompensation» und «Nutzung der personellen Ressourcen».

erfolgreiches Geschaeftsmodell

Abbildung 2: Was bedeutet für Sie ein «erfolgreiches» neues Geschäftsmodell? (2)

3.3 Geschäftsmodelle im Fokus

Die Mehrheit der an der Umfrage teilnehmenden VNB fokussiert sich bei neuen Geschäftsmodellen auf Abrechnungen für Eigenverbrauch bzw. für Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV). Weitere wichtige Geschäftsmodelle sind die Erzeugung aus neuer erneuerbarer Energie (exkl. Grosswasserkraft), die Bereitstellung von Ladeinfrastruktur für E-Mobilität und die Optimierung der Netzsteuerung (Smart Grid).

Beurteilung Geschaeftsmodelle

Abbildung 3: Wie beurteilen Sie die aufgeführten Geschäftsmodelle in Ihrem Unternehmen? (3)

Wichtig bei der Interpretation der Umfrageergebnisse ist die Differenzierung der Geschäftsmodelle in Bezug auf deren Erfolg und Wirtschaftlichkeit. Während die Abrechnung und die Erzeugung noch von rund 50% der an der Umfrage teilnehmenden VNB als erfolgreich und wirtschaftlich eingeschätzt wird, ist dies bei Ladeinfrastruktur für E-Mobilität und Optimierung der Netzsteuerung nur noch bei rund 20% der Fall.

3.4 Zukünftig wichtige Geschäftsmodelle

Als zukünftig erfolgversprechendstes Geschäftsmodell bzw. als zukünftiges «Top Thema» sehen die Verteilnetzbetreiber die Speicherung von Energie (Batterien). Als weitere erfolgversprechende Geschäftsmodelle nennen sie die Erzeugung aus neuer erneuerbarer Energie (exkl. Grosswasserkraft), die Abrechnung für Eigenverbrauch / ZEV und die Einführung von Beteiligungsmodellen.(4)

Erfolgversprechende Geschaeftsmodelle

Abbildung 4: Welche Arten von neuen Geschäftsmodellen sind aus Sicht Ihrer Unternehmung am erfolgversprechendsten? (5)

Interessant ist, dass bei den an der Umfrage teilnehmenden VNB weder die Speicherung noch die Beteiligungsmodelle aktuell zu denjenigen Geschäftsmodellen gehören, die aktuell verbreitet entwickelt werden oder bereits verbreitet im Markt eingeführt sind. Gleichwohl werden sie als zukünftig wichtig eingestuft.

3.5 Unterstützung für neue Geschäftsmodelle

Die Unterstützung durch das Management ist gemäss den Umfrageergebnissen sowohl für die Generierung als auch für die Umsetzung von neuen Geschäftsmodellen zentral. Ebenfalls wichtig bei der Generierung von neuen Geschäftsmodellen sind eine systematische Identifikation und Selektion von Ideen. Für die Umsetzung von neuen Geschäftsmodellen sind zusätzlich eine neue betriebliche Organisation und eine hohe Geschwindigkeit bzw. generell eine hohe Agilität des Unternehmens relevant.

Generierung erfolgreiche Geschaeftsmodelle

Abbildung 5: Wie generiert man aus Sicht Ihres Unternehmens neue Geschäftsmodelle erfolgreich? / Wie setzt man aus Sicht Ihres Unternehmens neue Geschäftsmodelle erfolgreich um? (6)

3.6 Hindernisse für neue Geschäftsmodelle

Hindernisse, die einer erfolgreichen Einführung eines neuen Geschäftsmodells im Weg stehen, sind primär fehlende personelle Ressourcen, regulatorische Restriktionen (7), unausgereifte Technologien und fehlendes Know-how. Positiv zu werten ist die Feststellung, dass offenbar viele VNB sowohl die erforderlichen finanziellen Ressourcen als auch die notwendigen betrieblichen Freiräume für die Entwicklung und Umsetzung neuer Geschäftsmodelle haben.

Hindernisse Einfuehrung Geschaeftsmodelle

Abbildung 6: Welche Hindernisse stehen einer erfolgreichen Einführung von neuen Geschäftsmodellen aus Sicht Ihres Unternehmens im Weg? (8)

4. Fazit

85% der an der Umfrage teilnehmenden VNB beschäftigen sich mit neuen Geschäftsmodellen. Ihre Hauptmotivation ist die Positionierung am Markt, die Befriedigung von Kundenbedürfnissen und die Kompensation von Margenerosion im bisherigen Geschäft. Geschäftsmodelle sind aus Sicht der VNB erfolgreich, wenn sie wirtschaftlich sind, die Wettbewerbsfähigkeit stärken und zu einem innovativen Image beitragen.

Folgende «Top Themen» werden als zukünftig wichtige Geschäftsmodelle eingeschätzt:

  • ZEV-Abrechnung ist aktuell «en vogue»;
  • Erzeugung aus neuen erneuerbaren Energien ist nach wie vor wichtig und dank der Förderung bisher auch vielfach wirtschaftlich;
  • Ladeinfrastruktur für E-Mobilität wird realisiert, aber die Wirtschaftlichkeit scheint nicht bei allen VNB gegeben zu sein;
  • Smart Grid ist ein weit verbreitetes Entwicklungsthema.

Die Entwicklung und Umsetzung neuer Geschäftsmodelle erfordert die Unterstützung des Managements. Ohne diese Unterstützung ist es weitaus schwieriger, Erfolg zu haben. Zudem gilt es, die vorhandenen Hindernisse zu beachten. Insbesondere personelle, regulatorische und technologische Restriktionen behindern die Entwicklung erfolgreicher neuer Geschäftsmodelle. Abschliessend lässt sich festhalten, dass die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle gerade für kleine und mittlere VNB eine grosse Herausforderung ist.

Verweise

Bildnachweis: Pixabay 
(1) Eigene Darstellung basierend auf Gassmann, Frankenberger und Csik (2017).
(2) EVU Partners AG; Umfrage «Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber» (2019).
(3) EVU Partners AG; Umfrage «Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber» (2019).
(4) Bei Beteiligungsmodellen gilt es zu berücksichtigen, dass nicht nur die regulatorischen Vorschriften des Strommarktes, sondern ggf. auch die regulatorischen Bestimmungen des Finanzmarktes zu beachten sind.
(5) EVU Partners AG; Umfrage «Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber» (2019).
(6) EVU Partners AG; Umfrage «Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber» (2019).
(7) Mögliche Beispiele für regulatorische Restriktionen sind bspw. der «Ort der Produktion» für ZEV (Art. 16 Abs. 1 Energiegesetz / Art. 14 Abs. 2 Energieverordnung), das Ausspeiseprinzip für die Netznutzung (Art. 14 Abs. 2 Stromversorgungsgesetz) und die Vorgaben zu Tarifstrukturen (Art. 6 Abs. 2 Stromversorgungsgesetz).
(8) EVU Partners AG; Umfrage «Geschäftsmodelle der Verteilnetzbetreiber» (2019).

Nico Waldmeier

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