Die Energiewende nimmt Fahrt auf – mit erheblichen Konsequenzen für die Verteilnetzbetreiber

Die Energiewende nimmt Fahrt auf – mit erheblichen Konsequenzen für die Verteilnetzbetreiber

Einschätzungen zum aktuellen Stand des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien – UPDATE vom Juni 2023 nach der 1. Differenzbereinigung

Das Parlament hat die Weichen für mehr Tempo in der Energiewende gestellt. Die Stossrichtungen und die Mehrheit der Instrumente sind klar, dennoch verbleiben auch nach der ersten Differenzbereinigung gewichtige Differenzen zwischen beiden Räten. Die Solarpflicht, die Idee verbindlicher die Effizienzvorgaben für Elektrizitätsversorger, die Neuregulierung der Grundversorgung sowie die Teilliberalisierung des Messwesens sind wohl die grössten Streitpunkte. Definitiv vom Tisch ist die Verschärfung des Unbundlings und damit das Risiko einer Umstrukturierung von 600 Netzbetreibern. Beschlossene Sache sind indes die Einführung von lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) sowie die Netzentgeltbefreiung von Speichern. Die Differenzen gilt es nun im Herbst 2023 und damit noch in dieser Legislatur zu bereinigen. Die Netzbetreiber müssen sich bereit jetzt auf neue Rahmenbedingungen ab 1. Januar 2025 einstellen – ob’s gefällt oder nicht.

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1. Einleitung

Mit dem Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien soll die Energiewende endlich auch in der Schweiz forciert werden. Allein das Zubauziel für neue erneuerbare Energie (ohne Wasserkraft) von neu 35 TWh sowie weiteren 38 TWh aus Wasserkraft bis 2035 sind Vorgabe neuer Dimensionen, deren Erreichung nicht nur gute Rahmenbedingungen, sondern auch starke Investitionsanreize und deutlich schnellere Prozesse benötigt. Das Gesetzespaket geht aber weit über die Förderung von Zubau hinaus. Es beinhaltet unter anderem auch für die direkt betroffenen Energieversorger mehrere Verschärfungen und Neuerungen, welche insbesondere auch die rund 600 Verteilnetzbetreiber vor grosse Herausforderungen stellen werden. Die Erwartungen sind dabei hoch. Die Netzbetreiber sollen statt verhindern endlich aktiv die Energiewende unterstützen. Das Verständnis für die Anliegen der Netzbetreiber war entsprechend begrenzt.

Im vorliegenden Artikel fassen wir die aktuellen, für Netzbetreiber zentralen Beschlüsse von Stände- und Nationalrat zusammen und weisen auf die zwischen beiden Räten verbleibenden Differenzen hin. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Räte diese Differenzen zeitnah bereinigen und das Gesetz verabschieden werden. Ob letztlich das Stimmvolk das letzte Wort zum Gesetz haben dürfte, wird nicht zuletzt am Kompromiss zwischen Natur- und Umweltschutz und Zubau hängen. Mit dem aktuellen Stand der Vorlage ist das Risiko eines Referendums eher gestiegen. Mit dem klaren Ja zum Klimagesetz vom 18. Juni 2023 ist hingegen die wichtige Grundfrage der Zielsetzung von «Netto-Null» verbindlich geklärt.

2. Zubau und Förderung erneuerbarer Energie

Kernanliegen der Revision des Energiegesetzes (EnG) sind die Zubauziele für erneuerbare Energie sowie deren Beitrag zur Produktion im Winterhalbjahr. Währenddessen die Zielsetzungen des Zubau in Art. 2 EnG weitgehend unbestritten waren, entbrannte die Diskussion rund um die Solarpflicht für Gebäude (Art. 45a EnG) sowie um die Abwägung von Schutz und Nutzen. Bei der Solarpflicht hat sich der Nationalrat für einen Kompromiss für Neubauten und erhebliche Um- und Erneuerungsbauten, insbesondere bei Sanierung des Dachs, ausgesprochen. Diese Lösung geht deutlich weiter als der bisherige Vorschlag von Bundesrat und Ständerat, verzichtet jedoch auf eine umfassende Pflicht für Bestandesbauten ab 300m2. Der Ständerat ist dieser Lösung im Rahmen der Differenzbereinigung nicht gefolgt und hat sich erneut gegen jede Solarpflicht ausgesprochen. Die Differenz in diesem Punkt bleibt daher gross.

Bei der Abwägung von Schutz und Nutzen hat der Nationalrat im Vergleich zum Ständerat in Art. 12 Abs. 2 EnG den Bau neuer Produktionsanlagen in Biotopen von nationaler Bedeutung nach Artikel 18a NHG und in Wasser- und Zugvogelreservaten nach Artikel 11 des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986 ausgeschlossen. Dieser Lösung konnte sich der Ständerat nun im Grundsatz anschliessen. Mit Art. 2a EnG kann wohl auch bei der Sistierung der Restwasserbestimmung bei Erneuerungen oder Erweiterungen bestehender Wasserkraftwerke ab 3 MW ein Kompromiss gefunden werden. Gemäss dem Ständerat soll der Bundesrat zur Erreichung der Produktions- und Importziele sowie bei einer drohenden Mangellage eine Reduktion der Restwassermengen befristet erlauben können. Die UREK des Nationalrates hat sich für diese Lösung ausgesprochen, jedoch nur für den Fall der Mangellage.

Sowohl die Aufweichung der Restwasserregelung als auch die Aufhebung des Grundprinzips von Kompensationsmassnahmen für Objekte im Inventare des Bundes von Objekten mit nationaler Bedeutung mit Art. 12 Abs. 3bis EnG werden von den Umweltverbänden kritisch beurteilt.

Unbestritten waren die vergleichsweise kleineren Anpassungen bei den Investitionsbeiträgen sowie die Einführung einer gleitenden Marktprämie für grössere erneuerbare Anlagen. Als Differenz zum Ständerat hat der Nationalrat die Förderung von Pumpspeicherwerken gestrichen, da er diese als schlicht nicht notwendig beurteilt. Der Ständerat ist dieser Meinung nun gefolgt und hat diese Differenz bereinigt.

3. Harmonisierte Rückspeisevergütung

Bei der Rückliefervergütung sind sich National- und Ständerat weitgehend einig. Diese haben mit Art. 15 Abs. 1bis EnG festgelegt, dass weiterhin die Netzbetreiber die ihnen in ihrem Netzgebiet angebotene Elektrizität (sowie das Biogas) abnehmen und vergüten müssen. Die Vergütung für erneuerbaren Strom soll sich dabei aber neu schweizweit einheitlich nach dem vierteljährlich gemittelten Marktpreis zum Zeitpunkt der Einspeisung richten. Die Netzbetreiber sollen die damit verbundenen Beschaffungskosten gemäss Art. 6 StromVG in ihrer Grundversorgung anrechnen können.[1] Neu soll der Bundesrat zur Verbesserung der Investitionssicherheit für Anlagen bis zu einer Leistung von 150 kW eine Minimalvergütung festlegen, welche sich an der «Amortisation von Referenzanlagen über ihre Lebensdauer» orientiert. Mit der Übergangsbestimmung von Art. 75c EnG hat die Mehrheit des Nationalrats dabei für alle bestehenden Anlagen bis zum 15. Betriebsjahr eine Mindestvergütung von 9 Rp./kWh festgelegt. Der Ständerat will diese Übergangsbestimmung nach wie vor streichen und diese Festlegung abgestuft nach Anlagengrössen dem Bundesrat überlassen.

4. Effizienzvorgaben

Gänzlich neu und entsprechend umstritten ist die Vorgabe eines Effizienzmarktes für Elektrizitätslieferanten gemäss Art. 46b EnG. Der Nationalrat hat dieses Modell als Differenz zum Ständerat eingefügt und mit 136 zu 55 Stimmen klar angenommen. Damit soll Elektrizitätslieferanten neu Zielvorgaben zur stetigen Steigerung der Effizienz beim Elektrizitätsverbrauch erfüllen (Abs. 1). Gemäss Abs. 2 soll dabei die Zielvorgabe eines Elektrizitätslieferanten einem bestimmten Anteil seines Absatzes im Winterhalbjahr des Vorjahres bei Endverbraucherinnen und Endverbrauchern im Inland entsprechen, wobei der Bundesrat den Anteil für alle Elektrizitätslieferanten einheitlich auf höchstens zwei Prozent festlegen soll. Gleichzeitig soll er einzelne Kategorien von Elektrizitätslieferanten sowie einzelne Arten des Elektrizitätsverbrauchs von Zielvorgaben befreien können (Abs. 3).

Die Elektrizitätslieferanten würden im Modell des Nationalrates ihre Zielvorgabe erfüllen, indem sie dem Bund entsprechende Massnahmen bei schweizerischen Endverbraucherinnen und Endverbrauchern zur Effizienzsteigerung im Winterhalbjahr nachweisen (Art. 46c). Sie könnten alternativ zur eigenen Zielerfüllung auch andere schweizerische, gemäss diesem Kapitel erbrachte Nachweise von Massnahmen zur Effizienzsteigerung erwerben. Damit soll ein vom Strommarkt getrennter Effizienzmarkt mit sog. «weissen Zertifikaten» entstehen.[2] Würden die Zielvorgaben dieses Modells am Ende einer Dreijahresperiode nicht erreicht, so würde die Zielsetzung für die Folgeperiode erhöht und eine Sanktion von hohen 5 Rp./kWh fällig, welche nicht auf die Endkunden überwälzt werden dürfte (Art. 46f).

Der Ständerat will von diesem Modell eines Effizienzdienstleistungsmarktes nicht wissen und hat die ganzen Artikel kurzerhand wieder gestrichen. Damit verbleibt in diesem Punkt eine maximale Differenz zwischen den Räten. Es wird spannend sein zu sehen, ob sich hier eine der beiden Räte durchsetzt oder ein anderes, deutlich abgeschwächteres Modell in letzter Minute noch zu einem Kompromiss führt.

5. Neuregelung der Grundversorgung

Wie aufgrund des Entscheid des Ständerats und des Antrags der Kommission zu erwartet war, will auch der Nationalrat vorderhand auf eine vollständige Marktöffnung verzichten. Ein Antrag für eine vollständige Marktöffnung wurde im Nationalrat mit 163 zu 28 Stimmen klar abgelehnt. Nationalrat Paganini hat diesbezüglich aber festgehalten, dass mit der Ablehnung die Frage der Strommarktliberalisierung nicht ein für alle Mal vom Tisch sein wird. Diese Frage werde das Parlament wieder einholen, wenn ein Stromabkommen mit der EU irgendeinmal greifbar wird. Weder Stände- noch Nationalrat wollten diese Vorlage mit der Liberalisierung aktiv gefährden.

Gleichzeitig hat der Nationalrat im Unterschied zum Ständerat den Neuregelungsbedarf der damit verbleibenden Grundversorgung erkannt. Dabei ist er den Anträgen der Mehrheit der Kommission gefolgt. Diese sind nicht zuletzt von der aktuellen Energiekrise und den damit stark gestiegenen Marktpreisen geprägt. So müssten die Netzbetreiber mit Grundversorgung nach dem Willen des Nationalrates neu gemäss Art. 6 Abs. 1 StromVG sicherstellen, dass sie für den Einkauf der nicht selbst produzierten Elektrizität über Beschaffungsstrategien, die eine Absicherung gegen extreme Marktpreisschwankungen bieten, verfügen. Entgegen dem Ständerat will der Nationalrat mit Art. 6 Abs. 2bis StromVG die Vorgabe eines erneuerbaren Standardprodukts analog zum Bundesrat einführen. Der Antrag, wonach dies nur mit inländischer Produktion realisiert werden dürfe, wurde hingegen aufgrund der Angebotssituation im Winter abgelehnt.

Neu geregelt werden soll nach dem Willen des Nationalrats in Art. 6 Abs. 5 StromVG die Anrechnung von Eigenproduktion und Beschaffung in der Grundversorgung. Die Netzbetreiber haben neu ihre erneuerbare Eigenproduktion vorrangig in der Grundversorgung abzusetzen. Reicht ihre Eigenproduktion für den Absatz in der Grundversorgung nicht aus, so müssen sie die fehlende Elektrizität zu einem vom Bundesrat zu bestimmenden Mindestanteil aus langfristigen Verträgen über erneuerbare Energien beziehen oder auf andere Weise so beschaffen, dass sie möglichst gegen Marktpreisschwankungen abgesichert sind. Bei Langfristverträgen sollen die Netzbetreiber beim Kauf für die gesamte Vertragslaufzeit entscheiden, welchen Anteil dieser Elektrizität sie in die Grundversorgung absetzen und welchen nicht. Zudem stellt der revidierte Abs. 5bis StromVG in der Fassung des Nationalrates klar, dass allfällige Beschaffungen für Marktkunden von der Beschaffung für die Grundversorgung zu trennen ist. Die Durchschnittspreismethode der ElCom würde damit aufgehoben und eine direkte Kostenzuweisung ermöglicht.

Der Ständerat war von diesem Modell nicht restlos überzeugt und hat sich erneut gegen eine Anpassung des geltenden Rechts ausgesprochen. Er folgt damit nicht zuletzt teilweise der Empfehlung der ElCom, welche sich für die Beibehaltung der Durchschnittspreismethode aus Gründen der Rechtssicherheit einsetzt.[3] Diese will nicht nur an der Durchschnittspreismethode festhalten, sondern auch die heute optionale Priorisierung der Eigenproduktion nach Art. 6 Abs. 5bis StromVG streichen, obwohl letztere Methode in der aktuellen Phase hoher Marktpreise den grundversorgten Endkunden tarifliche Vorteile verschafft.[4] Es ist dabei nicht nachvollziehbar, wieso eine Aufsichtsbehörde an einer Methode festhalten will, welche derart gravierende Mängel hat, zu massiven Marktverzerrungen führt, jahrelange gerichtliche Verfahren zur Folge hatte und sowohl bei den Endkunden als auch bei den Versorgern nicht zur Zufriedenheit führt. Eine Ablösung dieser Methode mit sauber getrennten Beschaffungsportfolien und für die Grundversorgung eine möglichst risikoarme, stabile Beschaffung vorgibt, wäre daher wichtig.[5]

Hier sind wir aus jahrelange Praxis und zahlreichen Verfahren klar der Meinung, dass die Chance dieser Neuregelung nicht verpasst werden sollte. Zwar ist eine Neuregelung mit einer verbindlichen Priorisierung der Eigenproduktion für die Grundversorgung auch alles andere als perfekt. Aber letztlich gibt es für eine Regulierung der Grundversorgung keine richtig gute Lösung, ausser der Marktöffnung. Da letztere politisch nicht opportun ist, muss die Grundversorgung angepasst werden. Es ist daher auf eine Kompromisslösung zwischen beiden Räten zu hoffen.

6. Unbundling

Die von der Kommission des Nationalrats vorgeschlagene Verschärfung des Unbundling hat die potentiell betroffenen Verteilnetzbetreiber regelrecht aufgeschreckt. So hätten nach dem Wortlaut der Kommission von Art. 10 Abs. 1bis StromVG alle Energieversorger ihren Netzbetrieb «institutionell, rechtlich und administrativ» vollständig vom übrigen Geschäft trennen müssen, was faktisch einer Strukturreform der ganzen Branche gleichgekommen wäre. Die meisten der rund 600 Verteilnetzbetreiber hätten sich faktisch für den Netzbetrieb oder den Verkauf ihres Netzes entscheiden müssen, weil eine vollständige personelle Trennung aufgrund der Grösse gar nicht umsetzbar gewesen wäre. An diesem Grundproblem änderte auch die von Nationalrat Jauslin als Antragssteller selber eingebrachte Präzisierung, wonach die Verteilnetze «nur» organisatorisch entflochten werden sollen, nichts. Bundesrat Rösti sprach sich im Namen des Bundesrates dennoch für diesen weitgehenden Unbundling-Antrag aus. Dies sollte den Netzbetreibern zumindest ein Fingerzeig hinsichtlich der Umsetzung der aktuellen Entflechtungsvorgaben sein.

Der Nationalrat hat letztlich in diesem Punkt entgegen seiner Kommission alle vorgeschlagenen Verschärfungsvarianten auf Antrag von Nationalrat Bäumle verworfen. Auch der Ständerat hat dieses Thema nicht mehr aufgegriffen. Art. 10 StromVG bleibt damit vorerst, bis zu einem allfälligen EU-Stromabkommen, unverändert.

7. Befreiung der Speicher von Netznutzungsentgelten

Im Nationalrat unbestritten waren die von der Kommission eingebrachten Vorschläge zur Netzentgeltbefreiung von Speichern und Power-to-X-Anlagen. Der Nationalrat unterstützte dabei auch die teilweise Befreiung von Speichern mit Endverbrauch in Art. 14 Abs. 3quater StromVG. Konkret sollen die Netzbetreiber den Betreibern von Speichern mit Endverbrauch das Netznutzungsentgelt auf Antrag zurückerstatten. Eine Rückerstattung gibt es nur für diejenige Elektrizitätsmenge, die nach dem Bezug aus dem Netz und nach der Speicherung zu einem spätere Zeitpunkt zurückgespeist wird. Damit soll insbesondere auch dem «Vehicle-to-Grid»-Ansatz zum Durchbruch verholfen werden. Vergleichbare Rückerstattungen sind gemäss Abs. 3quinques bzw. Abs. 3sexiesStromVG auch für Power-to-X-Anlagen vorgesehen. Hiervon sollen befristet insbesondere auch Pilotanlagen mit erneuerbarer Energie mit einer Leistung von insgesamt 200 MW profitieren. Der Ständerat hat sich im Rahmen der Differenzbereinigung diesen Vorschlägen des Nationalrates angeschlossen.

Die Netzbetreiber werden hier gefordert sein, die betroffenen Speicherbetreiber zeitnah mit Smart Metern auszurüsten und die entsprechend differenzierte Abrechnung von Aus- und Wiedereinspeisung korrekt vorzunehmen. Hierzu sind insbesondere Anpassungen an den Messkonzepten und Abrechnungssystem notwendig.

8. Netzverstärkung

Deutlich umfassendere Diskussionen löste die Anpassung von Art. 15 Abs. 1bis StromVG hinsichtlich der Kosten für Netzverstärkungen aus. So sollen dem Nationalrat neu Erschliessungsleitungen bis zum Netzanschlusspunkt im Fall von erneuerbarer Produktionsanlagen mit einer Anschlussleistung von über 50 kW als Teil der Netzkosten anrechenbar sein und damit Produzenten aktiv entlastet werden. Der Bundesrat kann dabei ein Maximum der anrechenbaren Kosten pro kW festlegen. Trotz der Warnungen von Bundesrat Rösti, dass diese Solidarisierung von Einzelkosten ein erheblicher Fehler sei, hat der Nationalrat diese Bestimmung angenommen. Der Ständerat hat diese Neureglung im Grundsatz unterstützt, befürwortet aber eine Finanzierung über die Kosten des Übertragungsnetzes (Swissgrid) und damit eine Solidarisierung über die ganze Schweiz. Auch wird die in der Differenzbereinigung ein Entscheid für die lokale oder eine nationale Solidarisierung notwendig werden. Die Gewinner und Verlierer sind je nach Variante absehbar.

Gleiches gilt bei den bisherigen Netzverstärkungskosten ab dem Netzanschlusspunkt gemäss Art. 15b StromVG. Auch hier befürwortete der Nationalrat eine Einführung einer Grenze von 5 MW für Netzverstärkungsgesuche an die ElCom zwecks Finanzierung via Swissgrid. Alle anderen Netzverstärkungen sollen im Verteilnetz direkt finanziert werden müssen. Der Ständerat will keine solche Begrenzung und die Refinanzierung über die Swissgrid wie heute für alle Anlagen mit erneuerbarer Energie ermöglichen. Auch hier wird es letztlich einen Entscheid im Parlament brauchen.

9. Teilliberalisierung des Messwesens

Mit 109 zu 81 Stimmen hat der Nationalrat auch der umstrittenen Teilliberalisierung des Messwesen zugestimmt. Weiterhin nichts davon wissen will der Ständerat. Unabhängig davon werden Netzbetreiber gemäss Art. 12 bzw. Art. 17a Abs. 2 StromVG verursachergerechte und von den Netzentgelten entflochtene Messtarife fest. Nach dem Willen des Nationalrats könnten mit Art. 17a Abs. 2 StromVG auch Erzeuger und Speicherbetreiber den Messstellenbetreiber und den Messdienstleister frei wählen. Endverbraucher hätten dieses Wahlrecht, sofern sie an der betreffenden Verbrauchsstätte einen Jahresverbrauch von mindestens 100 MWh aufweisen, Teil eines «ZEV» oder einer «LEG» (vgl. dazu Ziff. 11 nachstehend) wären oder Zugriff auf ihre Messdaten für Flexibilitäts- oder Energieeffizienzdienstleistungen in Anspruch nehmen würden.

In diesem Fall wurden die Argumente in Bezug auf Komplexität, Schnittstellen und die Kostenfolgen für die Allgemeinheit von der Mehrheit des Nationalrats tiefer gewichtet, als den notwendigen Schub neuer Geschäftsmodelle und der Digitalisierung im Verteilnetz. Damit besteht zwischen der Nationalrat und dem Ständerat eine gewichtige Differenz, da dieser die Teilmarktöffnung im Messwesen weiterhin ablehnt.

Der Ständerat hat aber in der letzten Fassung mit Art. 17a Abs. 6 StromVG eine Art «Ersatzvornahmelösung» als möglichen Kompromiss eingebracht. Ist der Zugang zu den eigenen Messdaten mit dem vom Netzbetreiber eingesetzten intelligenten Messsystem nicht in der gesetzlich vorgeschrieben Form möglich, sollen nach dem Willen des Ständerates Endverbraucher, Erzeuger und Speicherbetreiber Anspruch haben, das Messsystem auf dessen Kosten, für die der Bundesrat eine Obergrenze festlegt, durch einen zusätzlichen Elektrizitätszähler zu ergänzen. Diese Kosten wären keine anrechenbaren Messkosten des Netzbetreibers. Die Zählerergänzung würde einer Bewilligung der Elcom bedürfen und voraussetzen, dass diese dem Netzbetreiber vorgängig eine Frist von 30 Tagen zur Behebung der bestehenden Mängel eingeräumt hat.

Es darf erwartet werden, dass mit dieser Kompromisslösung auch die Mehrheit im Nationalrat leben könnte. Dann wird sich zeigen, wie die Netzbetreiber unter Druck von kostenpflichtigen Ersatzvornahmen, mit der Weiterentwicklung im Messwesen umgehen werden. Zumindest wäre in diesem Fall, und dies war dem Ständerat wichtig, der Investitionsschutz für das Smart Metering gewährleistet. Der Druck auf die Netzbetreiber für die entsprechenden Anspruchsgruppen rasch zu liefern, steigt aber weiter. Roll-out-Planung hin oder her.

10. Flexibilität

Hinsichtlich der Flexibilitätsnutzung durch Netzbetreiber hat der Nationalrat im Unterschied zum Ständerat sich für eine «Opt-out»-Regelung zugunsten der Netzbetreiber ausgesprochen. Gemäss Art. 17bis Abs. 1 StromVG soll der Einsatz von intelligenten Steuer- und Regelsystemen durch den Netzbetreiber solange möglich sein, bis der Endverbraucher, Erzeuger oder Speicherbetreiber diesen ausdrücklich untersagt. Der Netzbetreiber ist aber verpflichtet, den Kunden über diese Nutzung zu informieren. Ebenfalls im Gegensatz zum Ständerat hat sich der Nationalrat für eine Entschädigungspflicht bei garantierten Nutzungen netzdienlicher Flexibilität ausgesprochen. Dies betrifft gemäss Art. 17bis Abs. 3 lit. a StromVG insbesondere auch die Abregelung eines bestimmten Anteils der Einspeisung. Auch diese Differenzen gilt es nach wie vor zu bereinigen.

11. LEG

Unbestritten waren im Nationalrat die vom Ständerat mit Art. 17bbisa StromVG eingeführten lokalen Elektrizitätsgemeinschaften «LEG». Die damit verbundene Entsolidarisierung bei den Netzkosten wird bewusst in Kauf genommen, um die Dezentralisierung und die Beteiligung von bisher nicht an der Energiewende teilhabenden Endverbrauchern fördern zu können. Dabei können Endverbraucher, Erzeuger von Elektrizität aus erneuerbaren Energien und Speicherbetreiber sich zu einer «LEG» zusammenschliessen und die selbst erzeugte Elektrizität im Kreise dieser Gemeinschaft absetzen. Voraussetzungen dafür sind insbesondere das gleiche Netzgebiet, die gleiche Netzebene sowie eine örtliche Nähe. Der Ständerat hat hier die Ausdehnung nun auf maximal das Gebiet einer Gemeinde begrenzt. Wieweit hier «LEG» über Quartiere hinaus und auf dem ganzen Gemeindegebiet unabhängig der konkreten Netztopologie realisierbar sein werden, hängt noch an der Ausgestaltung auf Verordnungsebene.

Bereits im Frühjahr hat der Nationalrat gewisse Präzisierungen vorgenommen. Andererseits hat der Nationalrat im Unterschied zum Ständerat das Recht auf Netzzugang der ganzen «LEG» und damit auf eine Liberalisierung durch die Hintertür verzichtet. Massgebend für den Netzzugang bleiben die einzelnen Endverbraucher in der «LEG». Damit war der Ständerat nun letztlich einverstanden.

Für die Inanspruchnahme des Verteilnetzes hat der Verteilnetzbetreiber einen speziellen Netznutzungstarif zu gestalten. Nach dem Willen des Nationalrat muss für den Bezug von selbst erzeugter Elektrizität mindestens die Hälfte der üblichen Netzkosten angelastet werden. Der Ständerat will einen Abschlag von maximal 60% des sonst üblichen Tarifs festlegen und dabei dem Bundesrat die Aufgabe erteilen, die Höhe des Abschlages abgestuft für die verschiedenen netztopologischen Konfigurationen (in Abhängigkeit der Anzahl Netzebenen) von LEG festzulegen.

12. Zwischenfazit

Die Vorlage ist ambitioniert, die Mittel zur Zielerreichung aber eher bewährt. Richtig neu sind die gleitende Marktprämie für grössere erneuerbare Energieanlagen, die noch umstrittenen Effizienzvorgaben für Elektrizitätslieferanten, die Weiterentwicklung des Messwesens sowie die «LEG». Im Übrigen wurden die heutigen Instrumente und Vorgaben weiterentwickelt. Die Differenzen beider Räte sind noch relevant, gleichzeitig aber im Vergleich zur Gesamtvorlage überschau- und einzelne Kompromisse greifbar. Einzelne Mehrheitsentscheide im Rahmen einer Einigungskonferenz, gerade bei den strittigsten Themen wie der Solarpflicht, dürften aber notwendig sein. Gerade solche Punkte könnten nach weiterhin Grund für entsprechende Referenden sein. Es bleibt damit spannend.

Wie zu erwarten war, hat der Mut für den grossen Wurf mit einem offenen Markt gefehlt. Zu unklar ist die Situation mit der EU, zu hoch die aktuellen Börsenpreise und zu riskant eine mögliche Ablehnung an der Urne. Dies ist einerseits im Sinne von «Realpolitik» verständlich, andererseits aber aufgrund der zahlreichen notwendigen politischen Kompromisslösungen bedauerlich. Für die Netzbetreiber werden die Konsequenzen aber auch ohne Marktöffnung sehr spürbar. Gerade hier bestehen aber mit den Effizienzzielen, mit neuen Vorgaben zur Grundversorgung und der Teilmarktöffnung beim Messwesen noch erhebliche, verbleibende Differenzen im Parlament. Die Branche tut gut daran, hier zur Kompromissfindung beizutragen.

Für die Netzbetreiber heisst es unabhängig von den noch offenen Entscheidungen, sich mit den neuen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen und die Herausforderungen mit einer positiven Grundhaltung anzugehen. Die Energiewende schaffen wir in der Schweiz nur gemeinsam: Produzenten, Netzbetreiber und Verbraucher. Was wir dazu brauchen, sind rasch klare und stabile Rahmenbedingungen.

 


 

Verweise

Bildnachweis: Bild von Sebastian Ganso auf Pixabay 

1) Das bereits heute bestehende Problem, dass nicht sämtliche Netzbetreiber Grundversorger sind, wird dabei weiterhin nicht adressiert.

2) Vgl. dazu weiterführend bspw. die Studie von Ecofys im Auftrag des BFE aus dem Jahr 2012; erhältlich unter www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-46999.html.

3) Vgl. ElCom, Mitteilung vom 6. Juni 2023; erhältlich unter www.elcom.admin.ch/elcom/de/home/dokumentation/mitteilungen.html.

4) Nachdem diese über Jahre hinweg auch die tariflichen Nachteile getragen hatten.

5) Vgl. VSE, Mitteilung zum Mantelerlass vom 16. Juni 2023.

 

Markus Flatt

Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Regulierungsmanagement, Transaktionsbegleitung, betrieblichem Rechnungswesen und Rechtsformänderungen. Als Experte und Gutachter bin ich für Energieversorger einerseits sowie für Verbände und Behörden andererseits tätig.