Einschätzungen zum aktuellen Stand des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien
Nach dem Ständerat hat nun auch der Nationalrat die Weichen für mehr Tempo in der Energiewende gestellt. Die Stossrichtungen und die Mehrheit der Instrumente sind klar, dennoch verbleiben einige gewichtige Differenzen zwischen beiden Räten. Während politisch vor allem die Solarpflicht einerseits sowie die Sistierung von Restwassermengen andererseits stark umstritten sind, beurteilen die Netzbetreiber vor allem die neuen Effizienzvorgaben für Lieferanten sowie die Teilliberalisierung des Messwesens kritisch. Vorderhand vom Tisch ist die Verschärfung des Unbundlings und damit das Risiko einer Umstrukturierung von 600 Netzbetreibern. Die Entwicklung zeigt jedoch, dass die Erwartungen an die Netzbetreiber schnell steigen und sich diese auf neue Rahmenbedingungen einstellen müssen – ob’s gefällt oder nicht.
1. Einleitung
Mit dem am 15. März 2023 vom Nationalrat als Zweitrat verabschiedeten Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien soll die Energiewende endlich auch in der Schweiz forciert werden. Allein das Zubauziel für neue erneuerbare Energie (ohne Wasserkraft) von neu 35 TWh sowie weiteren 38 TWh aus Wasserkraft bis 2035 sind Vorgabe neuer Dimensionen, deren Erreichung nicht nur gute Rahmenbedingungen, sondern auch starke Investitionsanreize und deutlich schnellere Prozesse benötigt. Das Gesetzespaket geht aber weit über die Förderung von Zubau hinaus. Es beinhaltet unter anderem auch für die direkt betroffenen Energieversorger mehrere Verschärfungen und Neuerungen, welche insbesondere auch die rund 600 Verteilnetzbetreiber vor grosse Herausforderungen stellen werden. Die Erwartungen sind dabei hoch. Die Netzbetreiber sollen statt verhindern endlich aktiv die Energiewende unterstützen. Das Verständnis für die Anliegen der Netzbetreiber war entsprechend begrenzt.
Im vorliegenden Artikel fassen wir die aktuellen, für Netzbetreiber zentralen Beschlüsse von Stände- und Nationalrat zusammen und weisen auf die zwischen beiden Räten verbleibenden Differenzen hin. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Räte diese Differenzen zeitnah bereinigen und das Gesetz verabschieden werden. Ob letztlich das Stimmvolk das letzte Wort zum Gesetz haben dürfte, wird nicht zuletzt am Kompromiss zwischen Natur- und Umweltschutz und Zubau hängen. Mit dem aktuellen Stand der Vorlage ist das Risiko eines Referendums zumindest gestiegen.
2. Zubau und Förderung erneuerbarer Energie
Kernanliegen der Revision des Energiegesetzes (EnG) sind die Zubauziele für erneuerbare Energie sowie deren Beitrag zur Produktion im Winterhalbjahr. Währenddessen die Zielsetzungen des Zubau in Art. 2 EnG weitgehend unbestritten waren, entbrannte die Diskussion rund um die Solarpflicht für Gebäude (Art. 45a EnG) sowie um die Abwägung von Schutz und Nutzen. Bei der Solarpflicht hat sich der Nationalrat nun für einen Kompromiss für Neubauten und erhebliche Um- und Erneuerungsbauten, insbesondere bei Sanierung des Dachs, ausgesprochen. Diese Lösung geht deutlich weiter als der bisherige Vorschlag von Bundesrat und Ständerat, verzichtet jedoch auf eine umfassende Pflicht für Bestandesbauten ab 300m2.
Bei der Abwägung von Schutz und Nutzen hat der Nationalrat im Vergleich zum Ständerat in Art. 12 Abs. 2 EnG den Bau neuer Produktionsanlagen in Biotopen von nationaler Bedeutung nach Artikel 18a NHG und in Wasser- und Zugvogelreservaten nach Artikel 11 des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986 ausgeschlossen. Demgegenüber wurden mit Art. 2a EnG der Sistierung der Restwasserbestimmung bei Erneuerungen oder Erweiterungen bestehender Wasserkraftwerke ab 3 MW bis 2035 zugestimmt (Antrag Paganini) sowie das Grundprinzip von Kompensationsmassnahmen mit Art. 12 3bis EnG für Objekte im Inventare des Bundes von Objekten mit nationaler Bedeutung aufgehoben (Antrag Bregy). Beide Änderungen entsprechen aus Sicht der Umweltverbände keineswegs der Konsenshaltung des runden Tischs und gefährden daher die Vorlage als Ganzes. Letztlich wurde auf Antrag von Nationalrat Fluri der Vorrang von Solar- und Windanlagen gegenüber anderen nationalen Interessen in Art. 12 StromVG (Abs. 2bis) gestrichen (und damit der Vorrang auf die Wasserkraft reduziert). Die Zustimmung zu diesem Antrag dürfte zumindest bei Teilen des Parlaments als «Pfand» aufgrund der Entscheide zulasten des Umweltschutzes betrachtet und in der Differenzbereinigung mit dem Ständerat wohl wieder auf den Tisch gebracht werden.
Unbestritten waren die vergleichsweise kleineren Anpassungen bei den Investitionsbeiträgen sowie die bereits vom Ständerat bestätigte Einführung einer gleitenden Marktprämie für grössere erneuerbare Anlagen. Als Differenz zum Ständerat hat der Nationalrat die Förderung von Pumpspeicherwerken jedoch gestrichen, da er diese als schlicht nicht notwendig beurteilt.
3. Harmonisierte Rückspeisevergütung
Bei der Rückliefervergütung ist der Nationalrat seiner Kommission gefolgt. Diese hatte mit Art. 15 Abs. 1bis EnG bereits festgelegt, dass weiterhin die Netzbetreiber die ihnen in ihrem Netzgebiet angebotene Elektrizität (sowie das Biogas) abnehmen und vergüten müssen. Die Vergütung für erneuerbaren Strom soll sich dabei aber neu schweizweit einheitlich nach dem vierteljährlich gemittelten Marktpreis zum Zeitpunkt der Einspeisung richten. Die Netzbetreiber sollen die damit verbundenen Beschaffungskosten gemäss Art. 6 StromVG in ihrer Grundversorgung anrechnen können.(1) Neu soll der Bundesrat zur Verbesserung der Investitionssicherheit eine Minimalvergütung festlegen, welche sich an der «Amortisation von den pro Betrachtungszeitraum günstigsten Anlagen» orientiert. Gemeint ist damit offenbar eine Minimalvergütung zu Gestehungskosten der Anlagen unter Berücksichtigung des technologischen Fortschritts. Im Unterschied zum Ständerat soll aber auf eine Maximalgrenze verzichtet werden, da eine solche aufgrund der Freiheit der Produzenten ihren Strom auch Dritten zu veräussern, nur bedingt wirksam wäre. Mit der Übergangsbestimmung von Art. 75c EnG hat die Mehrheit des Nationalrats dabei für alle bestehenden Anlagen bis zum 15. Betriebsjahr eine Mindestvergütung von 9 Rp./kWh festgelegt.
Diese Lösung dürfte im Ständerat aufgrund der geringen Differenzen damit im Grundsatz Bestand haben. Fraglicher ist die Sicht des Ständerates zur Übergangsbestimmung mit 9 Rp./kWh. Gut möglich, dass diese wiederum gestrichen und die Festlegung differenzierter Mindestvergütungen in die Kompetenz des Bundesrates übergeben wird.
4. Effizienzvorgaben
Gänzlich neu ist die Vorgabe eines Effizienzmarktes für Elektrizitätslieferanten gemäss Art. 46b EnG. Dieser Vorschlag der Kommission hat der Nationalrat als Differenz zum Ständerat neu eingefügt und mit 136 zu 55 Stimmen klar angenommen. Damit müssen Elektrizitätslieferanten neu Zielvorgaben zur stetigen Steigerung der Effizienz beim Elektrizitätsverbrauch erfüllen (Abs. 1). Gemäss Abs. 2 entspricht dabei die Zielvorgabe eines Elektrizitätslieferanten einem bestimmten Anteil seines Absatzes im Winterhalbjahr des Vorjahres bei Endverbraucherinnen und Endverbrauchern im Inland, wobei der Bundesrat den Anteil für alle Elektrizitätslieferanten einheitlich auf höchstens zwei Prozent festlegen soll. Gleichzeitig kann er einzelne Kategorien von Elektrizitätslieferanten sowie einzelne Arten des Elektrizitätsverbrauchs von Zielvorgaben befreien (Abs. 3).
Die Elektrizitätslieferanten erfüllen ihre Zielvorgabe, indem sie dem Bund entsprechende Massnahmen bei schweizerischen Endverbraucherinnen und Endverbrauchern zur Effizienzsteigerung im Winterhalbjahr nachweisen (Art. 46c). Sie können alternativ zur eigenen Zielerfüllung auch andere schweizerische, gemäss diesem Kapitel erbrachte Nachweise von Massnahmen zur Effizienzsteigerung erwerben. Damit soll ein vom Strommarkt getrennter Effizienzmarkt mit sog. «weissen Zertifikaten» entstehen.(2) Werden die Zielvorgaben am Ende einer Dreijahresperiode nicht erreicht, so wird die Zielsetzung für die Folgeperiode erhöht und eine Sanktion von hohen 5 Rp./kWh fällig, welche nicht auf die Endkunden überwälzt werden darf (Art. 46f).
Während die grundsätzliche Stossrichtung des Nationalrats hier klar ist, bedarf es aus unserer Sicht zumindest einer Klärung in Bezug auf die Netzbetreiber als Grundversorger. Art. 46b EnG benennt bewusst «Elektrizitätslieferanten». Dies umfassen nach unserem Verständnis sowohl reine Lieferanten von netzzugangsberechtigen Kunden als auch Grundversorger (und somit die meisten Verteilnetzbetreiber). Nationalrat Jauslin hat als Sprecher der Kommission erklärt, dass die von der Kommission vorgeschlagene Verschärfung des Unbundling der Verteilnetzbetreiber gerade mit diesem neuen Effizienzmarkt und dem Vermeidung möglicher Wettbewerbsverzerrungen mit Energiedienstleistern begründet ist. Diesen Verschärfungen hat der Nationalrat nun aber letztlich nicht zugestimmt (vgl. Ziff. 6 nachstehend).
Art. 6 Abs. 5ter StromVG stellt klar, dass die Betreiber der Verteilnetze ihre Kosten aufgrund von Zielvorgaben zur Steigerung der Effizienz nach Artikel 46b-46f EnG nur anteilsmässig an die festen Endverbraucher und die Endverbraucher, die auf den Netzzugang verzichten, verrechnen dürfen. Damit ist der Einbezug aller Grundversorger in diesen Effizienzmarkt geklärt. Nach unserem Verständnis sind die dabei anrechenbaren Kosten als Abwicklungskosten zu verstehen. Die Verrechnung von Sanktionskosten ist gemäss Art. 46f Abs. 3 EnG explizit ausgeschlossen.
Der Argumentation der Ratsminderheit und des Branchenverbandes VSE, wonach dieses System im Kontext des stark zunehmenden Strombedarfs im Rahmen von Dekarbonisierung und Digitalisierung kontraproduktiv zu den Zielsetzungen der Energiestrategie sei, verfing dabei nicht. Die Mehrheit des Nationalrats sprach sich für mehr Effizienzmassnahmen aus. Es wird nun spannend sein, hier die Haltung des Ständerats zu sehen. Folgt dieser dem Nationalrat, so haben alle Elektrizitätslieferanten inklusive Grundversorger eine wichtige neue Aufgabe, deren Umsetzung konkrete Ressourcen und Geschäftsmodelle benötigt. Der heute bereits bestehende Markt für Energieeffizienzmassnahmen wird damit massgeblich ausgeweitet.
5. Neuregelung der Grundversorgung
Wie aufgrund des Entscheid des Ständerats und des Antrags der Kommission zu erwartet war, will auch der Nationalrat vorderhand auf eine vollständige Marktöffnung verzichten. Der Antrag für eine vollständige Marktöffnung der Minderheit Vincenz wurde mit 163 zu 28 Stimmen klar abgelehnt. Nationalrat Paganini hat diesbezüglich aber festgehalten, dass mit der Ablehnung die Frage der Strommarktliberalisierung nicht ein für alle Mal vom Tisch sein wird. Diese Frage werde das Parlament wieder einholen, wenn ein Stromabkommen mit der EU irgendeinmal greifbar wird. Weder Stände- noch Nationalrat wollten diese Vorlage mit der Liberalisierung aktiv gefährden.
Gleichzeitig hat der Nationalrat im Unterschied zum Ständerat den Neuregelungsbedarf der damit verbleibenden Grundversorgung erkannt. Dabei ist er den Anträgen der Mehrheit der Kommission gefolgt. Diese sind nicht zuletzt von der aktuellen Energiekrise und den damit stark gestiegenen Marktpreisen geprägt. So müssen die Netzbetreiber mit Grundversorgung neu gemäss Art. 6 Abs. 1 StromVG sicherstellen, dass sie für den Einkauf der nicht selbst produzierten Elektrizität über Beschaffungsstrategien, die eine Absicherung gegen extreme Marktpreisschwankungen bieten, verfügen. Entgegen dem Ständerat will der Nationalrat mit Art. 6 Abs. 2bis StromVG die Vorgabe eines erneuerbaren Standardprodukts analog zum Bundesrat einführen. Der Antrag, wonach dies nur mit inländischer Produktion realisiert werden dürfe, wurde hingegen aufgrund der Angebotssituation im Winter abgelehnt. Keine Chance hatte auch der Antrag von Nationalrätin Klopfenstein, wonach Endkunden mit einem Verbrauch von 5 GWh zu langfristigen Beschaffungen («PPA») aus erneuerbarer Energie gezwungen werden sollten.
Neu geregelt werden soll nach dem Willen des Nationalrats in Art. 6 Abs. 5 StromVG die Anrechnung von Eigenproduktion und Beschaffung in der Grundversorgung. Die Netzbetreiber haben neu ihre erneuerbare Eigenproduktion vorrangig in der Grundversorgung abzusetzen. Reicht ihre Eigenproduktion für den Absatz in der Grundversorgung nicht aus, so müssen sie die fehlende Elektrizität zu einem vom Bundesrat zu bestimmenden Mindestanteil aus langfristigen Verträgen über erneuerbare Energien beziehen oder auf andere Weise so beschaffen, dass sie möglichst gegen Marktpreisschwankungen abgesichert sind. Bei Langfristverträgen sollen die Netzbetreiber beim Kauf für die gesamte Vertragslaufzeit entscheiden, welchen Anteil dieser Elektrizität sie in die Grundversorgung absetzen und welchen nicht. Zudem stellt Abs. 5bis StromVG klar, dass allfällige Beschaffungen für Marktkunden von der Beschaffung für die Grundversorgung zu trennen ist. Die Durchschnittspreismethode der ElCom würde damit aufgehoben und eine direkte Kostenzuweisung ermöglicht.
Hier sind wir überzeugt, dass diese Neuregelung zahlreiche aktuelle Verwerfungen infolge stark schwankender Marktpreise unterbindet und damit Marktverzerrungen abbaut. Die Grundproblematik der kostenbasierten Grundversorgung, wonach in Zeiten hoher Marktpreise Kunden von Netzbetreibern mit Eigenproduktion mit tieferen Gestehungskosten profitieren (und umgekehrt in Zeiten tiefer Marktpreise Kunden von Netzbetreibern mit einem höheren Anteil Marktbeschaffungen), wird damit aber nicht gelöst. Die Verpflichtung zur langfristigen Beschaffung dürfte insbesondere den PPA-Markt befeuern, was in Zeiten hoher Marktpreise nicht unproblematisch sein kann. Sofern der Ständerat dieser Lösung zustimmt, wird es insbesondere am Bundesrat liegen, hier einen sinnvollen Mindestanteil festzulegen, so dass Netzbetreiber genügend Handlungsspielraum für ihre Beschaffungsstrategie behalten. Dabei darf die immer noch anstehende Marktöffnung, welche Voraussetzung für ein EU-Stromabkommen bleibt, nicht gänzlich aussenvorgelassen werden.
6. Unbundling
Die von der Kommission des Nationalrats vorgeschlagene Verschärfung des Unbundling hat die potentiell betroffenen Verteilnetzbetreiber regelrecht aufgeschreckt. So hätten nach dem Wortlaut der Kommission von Art. 10 Abs. 1bis StromVG alle Energieversorger ihren Netzbetrieb «institutionell, rechtlich und administrativ» vollständig vom übrigen Geschäft trennen müssen, was faktisch einer Strukturreform der ganzen Branche gleichgekommen wäre. Die meisten der rund 600 Verteilnetzbetreiber hätten sich faktisch für den Netzbetrieb oder den Verkauf ihres Netzes entscheiden müssen, weil eine vollständige personelle Trennung aufgrund der Grösse gar nicht umsetzbar gewesen wäre. An diesem Grundproblem änderte auch die von Nationalrat Jauslin als Antragssteller selber eingebrachte Präzisierung, wonach die Verteilnetze «nur» organisatorisch entflochten werden sollen, nichts. Bundesrat Rösti sprach sich im Namen des Bundesrates dennoch für diesen weitgehenden Unbundling-Antrag aus. Dies sollte den Netzbetreibern zumindest ein Fingerzeig hinsichtlich der Umsetzung der aktuellen Entflechtungsvorgaben sein.
Der Nationalrat hat letztlich in diesem Punkt entgegen seiner Kommission alle vorgeschlagenen Verschärfungsvarianten auf Antrag von Nationalrat Bäumle verworfen. Art. 10 StromVG bleibt damit unverändert, hier besteht keine Differenz mehr zum Ständerat.
7. Befreiung der Speicher von Netznutzungsentgelten
Im Nationalrat unbestritten waren die von der Kommission eingebrachten Vorschläge zur Netzentgeltbefreiung von Speichern und Power-to-X-Anlagen. Im Unterschied zum Ständerat unterstützt der Nationalrat die teilweise Befreiung von Speichern mit Endverbrauch in Art. 14 Abs. 3quater StromVG. Konkret sollen die Netzbetreiber den Betreibern von Speichern mit Endverbrauch das Netznutzungsentgelt auf Antrag zurückerstatten. Eine Rückerstattung gibt es nur für diejenige Elektrizitätsmenge, die nach dem Bezug aus dem Netz und nach der Speicherung zu einem spätere Zeitpunkt zurückgespeist wird. Damit soll insbesondere auch dem «Vehicle-to-Grid»-Ansatz zum Durchbruch verholfen werden. Vergleichbare Rückerstattungen sind gemäss Abs. 3quinques bzw. Abs. 3sexies StromVG auch für Power-to-X-Anlagen vorgesehen. Hiervon sollen befristet insbesondere auch Pilotanlagen mit erneuerbarer Energie mit einer Leistung von insgesamt 200 MW profitieren.
Die Netzbetreiber werden hier gefordert sein, die betroffenen Speicherbetreiber zeitnah mit Smart Metern auszurüsten und die entsprechend differenzierte Abrechnung von Aus- und Wiedereinspeisung korrekt vorzunehmen. Hierzu sind insbesondere Anpassungen an den Messkonzepten und Abrechnungssystem notwendig.
8. Netzverstärkung
Deutlich umfassendere Diskussionen löste die Anpassung von Art. 15 Abs. 1bis StromVG hinsichtlich der Kosten für Netzverstärkungen aus. So sollen gemäss der Kommissionsmehrheit neu Erschliessungsleitungen bis zum Netzanschlusspunkt im Fall von erneuerbarer Produktionsanlagen mit einer Anschlussleistung von über 50 kW als Teil der Netzkosten anrechenbar sein und damit Produzenten aktiv entlastet werden. Der Bundesrat kann dabei ein Maximum der anrechenbaren Kosten pro kW festlegen. Trotz der Warnungen von Bundesrat Rösti, dass diese Solidarisierung von Einzelkosten ein erheblicher Fehler sei, hat der Nationalrat diese Bestimmung angenommen. Diese neu geschaffene Differenz wird im Ständerat sicher noch einmal zu Diskussionen Anlass geben.
9. Teilliberalisierung des Messwesens
Mit 109 zu 81 Stimmen hat der Nationalrat auch der umstrittenen Teilliberalisierung des Messwesen zugestimmt. Unabhängig davon werden Netzbetreiber gemäss Art. 12 bzw. Art. 17a Abs. 2 StromVG verursachergerechte und von den Netzentgelten entflochtene Messtarife fest. Nach dem Willen des Nationalrats sollen nun mit Art. 17a Abs. 2 StromVG Erzeuger und Speicherbetreiber den Messstellenbetreiber und den Messdienstleister frei wählen. Endverbraucher haben dieses Wahlrecht, sofern sie an der betreffenden Verbrauchsstätte einen Jahresverbrauch von mindestens 100 MWh aufweisen, Teil eines «ZEV» oder einer «LEG» (vgl. dazu Ziff. 11 nachstehend) sind oder Zugriff auf ihre Messdaten für Flexibilitäts- oder Energieeffizienzdienstleistungen in Anspruch nehmen.
Auch in diesem Fall wurden die Argumente in Bezug auf Komplexität, Schnittstellen und die Kostenfolgen für die Allgemeinheit von der Mehrheit des Nationalrats tiefer gewichtet, als den notwendigen Schub neuer Geschäftsmodelle und der Digitalisierung im Verteilnetz. Damit schafft der Nationalrat auch hier eine gewichtige Differenz zum Ständerat, welcher die Teilmarktöffnung im Messwesen bisher ablehnt.
Bleibt die Bestimmung im Rahmen der Differenzbereinigung bestehen, wird die Wirkung auf die für das Messwesen primär verantwortlichen Netzbetreiber stark von den Ausführungsbestimmungen und der Markt-bzw. Preissituation abhängen. Während die Wechselbereitschaft grosser Endverbraucher, allen voran sog. «Multi-Site-Kunden» klar ist, sind die Folgen bei Produzenten, Prosumern und Speicherbetreibern unklar. Die Formulierung in von Art. 17a Abs. 2 StromVG lässt zumindest erwarten, dass abgesehen von reinen Endverbrauchern sämtliche Anspruchsgruppen von dieser Liberalisierung profitieren sollen. Aufgrund der fortschreitenden Dezentralisierung sowie des Umstandes, dass heute Produzenten gar keine (zusätzlichen) Messentgelte bezahlen (da diese Teil der Netznutzung sind), wird der Effekt dieser Bestimmungen eventuell unterschätzt. Führen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens nämlich alle Netzbetreiber wieder verursachergerechte Messtarife pro Messpunkt ein, so dürfte die Wechselbereitschaft mit dem Ziel der Minimierung der Anzahl an Zählern höher sein als erwartet. Für die Netzbetreiber wird damit auch die Wahl des richtigen Messkonzepts von Bedeutung sein. Heute nach wie vor verbreitete Lösungen mit mehreren Zählern dürften sich damit schlicht als nicht mehr konkurrenzfähig erweisen.
10. Flexibilität
Hinsichtlich der Flexibilitätsnutzung durch Netzbetreiber hat der Nationalrat im Unterschied zum Ständerat sich für eine «Opt-out»-Regelung zugunsten der Netzbetreiber ausgesprochen. Gemäss Art. 17bis Abs. 1 StromVG soll der Einsatz von intelligenten Steuer- und Regelsystemen durch den Netzbetreiber solange möglich sein, bis der Endverbraucher, Erzeuger oder Speicherbetreiber diesen ausdrücklich untersagt. Der Netzbetreiber ist aber verpflichtet, den Kunden über diese Nutzung zu informieren. Ebenfalls im Gegensatz zum Ständerat hat sich der Nationalrat für eine Entschädigungspflicht bei garantierten Nutzungen netzdienlicher Flexibilität ausgesprochen. Dies betrifft gemäss Art. 17bis Abs. 3 lit. a StromVG insbesondere auch die Abregelung eines bestimmten Anteils der Einspeisung.
11. LEG
Unbestritten waren auch im Nationalrat die vom Ständerat mit Art. 17bbisa StromVG eingeführten lokalen Elektrizitätsgemeinschaften «LEG». Die damit verbundene Entsolidarisierung bei den Netzkosten wird bewusst in Kauf genommen, um die Dezentralisierung und die Beteiligung von bisher nicht an der Energiewende teilhabenden Endverbrauchern fördern zu können. Dabei können Endverbraucher, Erzeuger von Elektrizität aus erneuerbaren Energien und Speicherbetreiber sich zu einer «LEG» zusammenschliessen und die selbst erzeugte Elektrizität im Kreise dieser Gemeinschaft absetzen. Voraussetzungen dafür sind insbesondere das gleiche Netzgebiet, die gleiche Netzebene sowie eine örtliche Nähe. Wieweit hier «LEG» über Quartiere hinaus realisierbar sein werden, hängt also noch aus der Ausgestaltung auf Verordnungsebene.
Dabei hat der Nationalrat einerseits gewisse Präzisierungen vorgenommen. Andererseits hat der Nationalrat im Unterschied zum Ständerat das Recht auf Netzzugang der ganzen «LEG» und damit auf eine Liberalisierung durch die Hintertür verzichtet. Massgebend für den Netzzugang bleiben die einzelnen Endverbraucher in der «LEG». Für die Inanspruchnahme des Verteilnetzes hat der Verteilnetzbetreiber einen speziellen Netznutzungstarif zu gestalten, der auch als Leistungstarif ausgestaltet sein kann. Für den Bezug von selbst erzeugter Elektrizität müssen mindestens die Hälfte der üblichen Netzkosten angelastet werden. Der Ständerat hatte hier die vollen Kosten der Anschlussebene (z.B. Netzebene 7) und 75% der Vorliegerebenen vorgeschlagen.
Weiter präzisiert der Nationalrat, dass der Verteilnetzbetreiber die selbst erzeugte Elektrizität, die im Kreise der «LEG» unter Inanspruchnahme des Verteilnetzes abgesetzt wurde, im Verhältnis der gesamten Elektrizitätsbezüge der einzelnen Endverbraucher aufteilen und abrechnen muss. Die «LEG» kann jedoch eine abweichende Aufteilung bzw. Regelung treffen. Zudem sollen Verteilnetzbetreiber oder LEG verlangen können, dass die gesamte Abrechnung an die Gemeinschaft erfolgt. Inwiefern der Verteilnetzbetreiber die für die Abrechnungsdienstleistungen anfallenden Kosten in Rechnung stellen kann, bleibt bisher offen. Eine entsprechende Rechtsgrundlage wäre hierzu aus Sicht der Netzbetreiber zumindest auf Verordnungsstufe wichtig.
12. Zwischenfazit
Die Vorlage ist ambitioniert, die Mittel zur Zielerreichung aber eher bewährt. Richtig neu sind die gleitende Marktprämie für grössere erneuerbare Energieanlagen, die Effizienzvorgaben für Elektrizitätslieferanten, die Teilliberalisierung des Messwesens sowie die «LEG». Im Übrigen wurden die heutigen Instrumente und Vorgaben weiterentwickelt. Die Differenzen zum Ständerat sind überschau- und Kompromisse greifbar. Gefordert dürfte der Ständerat vor allem hinsichtlich der Solarpflicht und der Sistierung bei der Restwassermenge sein. Beide Punkte könnten nach ersten Reaktionen Grund für entsprechende Referenden sein. Demgegenüber sind die für die Netzbetreiber besonders kritischen Elemente wie die Effizienzvorgaben oder das Messwesen vergleichsweise unstrittig. Es wird spannend zu sehen sein, wie der Ständerat damit umgeht.
Wie zu erwarten war, hat der Mut für den grossen Wurf mit einem offenen Markt gefehlt. Zu unklar ist die Situation mit der EU, zu hoch die aktuellen Börsenpreise und zu riskant eine mögliche Ablehnung an der Urne. Dies ist einerseits im Sinne von «Realpolitik» verständlich, andererseits aber aufgrund der zahlreichen notwendigen politischen Kompromisslösungen bedauerlich. Für die Netzbetreiber werden die Konsequenzen aber auch ohne Marktöffnung sehr spürbar. Effizienzziele, dezentrale Marktöffnung via LEG, neue Vorgaben zur Grundversorgung und die Teilmarktöffnung beim Messwesen sind dabei sicher die zentralsten Elemente. Inwiefern der Ständerat hier die Ambitionen des Nationalrats bremst, wird sich in der Sommersession zeigen.
Die Netzbetreiber tun gut daran, sich mit diesen neuen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen und die Herausforderungen mit einer positiven Grundhaltung anzugehen. Die Energiewende schaffen wir in der Schweiz nur gemeinsam: Produzenten, Netzbetreiber und Verbraucher. Was wir dazu brauchen, sind rasch klare und stabile Rahmenbedingungen.
Verweise
Bildnachweis: Bild von Sebastian Ganso auf Pixabay
1) Das bereits heute bestehende Problem, dass nicht sämtliche Netzbetreiber Grundversorger sind, wird dabei weiterhin nicht adressiert.
2) Vgl. dazu weiterführend bspw. die Studie von Ecofys im Auftrag des BFE aus dem Jahr 2012; erhältlich unter https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-46999.html.