Kommt jetzt die Fusionswelle von Verteilnetzbetreibern?

Kommt jetzt die Fusionswelle von Verteilnetzbetreibern?

Unsere Einschätzung und die Herausforderungen und Erfolgsfaktoren aus entsprechenden Fusionsprojekten

Der Schweizer Strommarkt zeichnete sich in der Vergangenheit durch robuste Eigentümerstrukturen aus. Aufgrund der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen kommen viele Verteilnetzbetreiber vermehrt unter Druck. Als Massnahme werden Strukturüberprüfungen durchgeführt, welche im Ergebnis zu einer Beschleunigung der Transformation der Eigentümerstrukturen führen können. Die Umsetzung von Fusionen, insbesondere von Verteilnetzbetreibern im kommunalen Eigentum, stellt jedoch eine grosse Herausforderung dar. Wir erwarten daher keine eigentliche Fusionswelle in der Schweiz. Dafür sind die föderal geprägten Eigentümerstrukturen schlicht zu träge. Der Druck auf die Eigentümer, sich grundlegende Gedanken zu ihrer Eigentümerstrategie zu machen, steigt aber stetig. Diese Transformation sollte daher nicht unterschätzt werden.

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1. Ausgangslage

Schweizer Verteilnetzbetreiber (VNB) sind bereits seit einigen Jahren mit den grossen Herausforderungen der Dekarbonisierung, der Dezentralisierung und der Digitalisierung sowie den damit verbundenen, zunehmenden regulatorischen Anforderungen konfrontiert. Gleichzeitig steigen die Anforderungen der Kunden. Da aufgrund der jüngeren Verwerfungen auf den europäischen Elektrizitätsmärkten und der damit verbundenen drohenden Mangellage im letzten Winter die Grundversorgungstarife vieler VNB für das Jahr 2023 deutlich anstiegen, verstärkte sich der Fokus der Öffentlichkeit und der Eigentümerschaft auf die Stromtarife, die Risiken der Energiebeschaffung, die finanziellen Ergebnisse sowie die Governance-Strukturen der Unternehmen.

Aufgrund der mehrjährigen Beschaffungsstrategien bei vielen VNB, insbesondere bei Fehlen eines signifikanter Eigenproduktionsanteils und der zusätzlichen Netzkosten infolge der kurzfristig getroffenen Massnahmen für die Versorgungssicherheit (1), werden auch die Tarife 2024 nochmals deutlich ansteigen. Ob allfällige bestehende oder neu gebildete Unterdeckungen in diesem Umfeld in den Tarifen eingepreist werden können, ist mehr als fraglich. Vielmehr ist zu erwarten, dass auf Unterdeckungen teilweise verzichtet und somit ein effektiver finanzieller Verlust realisiert werden muss.(2)

Vor diesem Hintergrund kommen viele VNB noch stärker unter Druck und Forderungen nach Strukturüberprüfungen nehmen zu. Die Unternehmen müssen sicherstellen, Voraussetzungen für eine langfristig erfolgreiche Geschäftstätigkeit zu schaffen. Um dies zu erreichen, werden die strategische Ausrichtung sowie Wertschöpfungs- und Leistungstiefen überprüft. Dabei reicht eine einfache Strategieüberprüfung mit rein qualitativen Einschätzungen und der Bestätigung des «status quo+» oft nicht mehr aus. Aktuell werden bei vielen VNB und bei deren Eigentümer die richtigen Fragen mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und Ergebnisoffenheit diskutiert.

Es darf daher angenommen werden, dass sowohl der Bedarf als auch die Bereitschaft für Kooperationen weiterhin zunehmen wird. Dabei gilt es eine Vielzahl unterschiedlicher Arten von Kooperationen zu berücksichtigen. So gibt es Kooperationen sowohl auf vertraglicher Ebene (bspw. Abschluss eines Dienstleistungs- oder Betriebsführungsvertrages, Eingehen eines Pachtverhältnisses) als auch Kooperationen auf der Eigentumsebene (bspw. Gründung einer Tochtergesellschaft, Eingehen einer Fusion). Die Fusion kann als konsequenteste Form einer Kooperation bezeichnet werden, da zwei (oder mehrere) VNB zu einem neuen Unternehmen verschmelzen. Im Vordergrund steht dabei die Realisierung von betrieblichen und baulichen Synergien.

Die Transformation des Schweizer Strommarkts, welcher sich bis anhin durch Eigentümerstrukturen mit einer starken Rolle der Politik (VNB im kommunalen Eigentum) und damit durch eine gewisse Beständigkeit auszeichnete, wird sich nun beschleunigen.

2. Treiber für Fusionen

Die Einführung der «Cost+-Regulierung» per 1. Januar 2008 und der Teilmarktliberalisierung per 1. Januar 2009 (3) hat bisher nicht zu einer relevanten Konsolidierung der Schweizer VNB geführt. Der bisher nur leichte Rückgang der Anzahl VNB ist weniger effizienz- bzw. kostenbedingt, sondern vielfach ausgelöst durch Gemeindefusionen. Zu beobachten sind zwar rechtliche Verselbständigungen oder verschiedene vertragliche Kooperationen (u.a. Betriebsführungen). Strukturellen Veränderungen (ohne Verpachtungen oder Netzverkäufe) haben jedoch keinen Einfluss auf die Anzahl VNB.

Die «Cost+-Regulierung» bietet in der Grundversorgung wenig Anreize für Zusammenschlüsse. Zwar kann für Kunden ein Zusammenschluss von VNB aufgrund der erzielbaren Synergie- und damit auch Tarifeinsparpotenziale (leicht) vorteilhaft sein, doch für die Unternehmen selbst resultiert durch einen Zusammenschluss kein (deutlich) höherer Gewinn. Die mittelfristige Weiterentwicklung der Regulierung dürfte dies aber zunehmend ändern und die Effizienzvorschriften für Verteilnetzbetreiber verschärfen.(4) Gerade die Sunshine-Regulierung mit neu öffentlichen Netzkosten-Vergleichen wird ihren Beitrag dazu beitragen.(5) Zudem ist die betriebliche Effizienz für viele Verteilnetzbetreiber mit weiteren Aktivitäten in wettbewerbsintensiven Märkten (insbesondere Dienstleistungen) auch unabhängig von der Regulierung entscheidend.(6)

Im Kontext des regulierten Verteilnetzes sind somit bisher primär qualitative Argumente überzeugend, damit sich VNB bei zunehmendem Druck auf ihre Geschäftstätigkeit mit der Intensivierung der Zusammenarbeit durch Kooperationen oder sogar Fusionen auseinandersetzen. Durch die Intensivierung von Kooperationen kann ein Konsolidierungsdruck allenfalls reduziert werden.

Bei der Betrachtung von möglichen Treibern zum Eingehen von Kooperationen und Fusionen gilt es, die Rahmenbedingungen von Eigentümerschaft und Sichtweisen der Unternehmensführung zu unterscheiden:

Tabelle 1: Ausgewählte Rahmenbedingungen und Treiber beim Eingehen von Kooperationen und Fusionen.

Aktuell lässt sich eine gewisse Dynamik bezüglich regionaler Zusammenschlüsse von VNB feststellen. Dazu gehört beispielsweise die erfolgte Gründung der OIKEN SA (Zusammenschluss der beiden Energieversorger Sion-Région SA und Sierre-Energie SA); Gründung der LST Energie AG (Zusammenschluss der Energieversorgung der Politischen Gemeinden Lommis, Stettfurt und Thundorf) sowie die beabsichtigten Zusammenschlüsse der Energie- und Wasserversorgungsunternehmen EW Oftringen AG, EW Rothrist AG und StWZ Energie AG oder Energie Seeland AG und EWA Energie Wasser Aarberg AG.

3. «Fusions-Trilemma» als zentrale Herausforderung

Im Rahmen des Fusionsprozesses von VNB im kommunalen Eigentum besteht die zentrale Herausforderung darin, die Interessen der verschiedensten Anspruchsgruppen zu berücksichtigen, welche sich teilweise widersprechen. Es besteht die Gefahr, dass die Interessensgegensätze den Fusionsprozess gefährden und zu Projektverzögerungen führen. In Bezug auf die Begegnung der unterschiedlichen Erwartungen der Anspruchsgruppen gilt es parallel die Ebenen Eigentümerschaft, Unternehmen sowie Stimmbevölkerung zu beachten.

Die Projektverantwortlichen finden sich somit in einem «Fusions-Trilemma» wieder:

 

Abbildung 1: "Fusions-Trilemma" bei Fusionen von Verteilnetzbetreibern im kommunalen Eigentum.

  • Aus Sicht der Eigentümerschaft (Politik und Verwaltung) ist vielfach der Druck für Veränderungen des VNB nicht stark spürbar. Die Notwendigkeit, eine intensive Transformation anzustossen, bedarf daher vielfach einer zeitintensiven Überzeugungsarbeit durch das Unternehmen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips (7) und der damit verbundenen öffentlicher Diskussionen auf Gemeindeebene nur schon Fusionsabsichten bekannt werden, obwohl die angestrebte Lösung noch gar nicht ausgearbeitet ist. Die Vertreter der Eigentümerschaft wollen zwar, können in dieser Situation jedoch vielfach noch nicht die geforderte Transparenz liefern. Weitere Herausforderungen liegen in der im Projektverlauf allenfalls zu antizipierenden Legislaturwechseln sowie in der Berücksichtigung verwaltungsinterner Verfahren und Prozesse. Fusionen im privatrechtlichen Kontext lassen sich bezüglich Informationspflichten besser vorbereiten, da primär die Vorschriften des Fusionsgesetzes (8) mit der Information der Gesellschafterinnen und Gesellschafter zu berücksichtigen sind.
  • Aus Sicht des Unternehmens (Verwaltungsrat und Geschäftsleitung) liegt das primäre Interesse darin, eine langfristig nachhaltige Lösung für die strategischen und operativen Herausforderungen zu finden. Fragen der Mitarbeitenden zur zukünftigen individuellen Funktion, Stellenbeschreibung, Modalitäten des Arbeitsvertrages oder auch zu den zukünftigen Standorten werden erst im Projektverlauf beantwortet und können zu Beginn des Prozesses meist noch nicht abschliessend festgelegt werden. Zudem bedingt der politische Prozess, dass die Mitarbeitenden erst bei Zustimmung der politischen Gremien zur Fusion Gewissheit erhalten, ob diese auch tatsächlich umgesetzt wird. Integrationsarbeiten um Kultur, Systeme und Prozesse, parallel zum operativen Geschäft, fordern zudem die oftmals auf Seite der Unternehmen knapp verfügbaren personellen Ressourcen stark.
  • Schliesslicht liegt es an der Stimmbevölkerung, dem Fusionsprojekt zuzustimmen. Ihr Interesse ist vielfach primär finanzieller Natur, bspw. im Hinblick auf die zu erwartenden kurz- bis mittelfristigen Tarife aus Sicht des Stromkunden / der Stromkundin oder im Hinblick auf die zu erwartende Abgeltung an die Gemeinde aus Sicht des Steuerzahlenden. Oftmals ist dabei den Stimmbürgern der unmittelbar spürbare Tarifeffekt wichtiger und naheliegender als der mittelbare finanzielle Effekt über den Steuerhaushalt. Zudem ist es herausfordernd, der Stimmbevölkerung die mittel- und längerfristigen Entwicklungen aufzuzeigen und ihre Zustimmung für ein derart strategisches Unterfangen zu gewinnen. Hier braucht es viel persönliche Überzeugungsarbeit und eine Vertrauensbasis zu den operativ, strategisch und politischen Verantwortlichen.

4. Erfolgsfaktoren

Die Umsetzung einer Fusion wird dann erfolgreich, wenn den Herausforderungen des «Fusions-Trilemmas» proaktiv begegnet wird. Dazu sind mehrere Erfolgsfaktoren entscheidend, welche sich in sechs Kategorien gliedern lassen:

  • Die Wahl des / der geeignetsten Fusionspartner(s) spielt eine entscheidende Rolle und ein geeignetes Zeitfenster steht vielfach nur für eine kurze Zeit zur Verfügung. Es empfehlt sich, Eckwerte der angestrebten Zielstruktur frühzeitig über die involvierten Eigentümer zu sondieren.
  • Je nach Ausgangslage der beteiligten VNB kann die beabsichtigte Fusion in Bezug auf die Anspruchsgruppen Gewinner und Verlierer hervorbringen. Da für eine erfolgreiche Umsetzung der Fusion die Zustimmung aller Anspruchsgruppen benötigt wird (vgl. «Fusions-Trilemma»), sind Kompromisse unabdingbar. Es sind geeignete Instrumente und Massnahmen zu identifizieren, wie bspw. eine zielgerichtete Governance-Struktur oder bei unterschiedlichen Beteiligungshöhen an der fusionierten Unternehmung ein ausgewogener Minderheitenschutz. Dazu wird die Kompromissfähigkeit aller involvierten Parteien vorausgesetzt.
  • Die Mitarbeitenden der involvierten VNB sind als Multiplikatoren zu verstehen. Ein regelmässiger Austausch mit den Projektverantwortlichen hilft ihnen, die Hintergründe des Projekts sowie die Herausforderungen besser einzuordnen. Die Phase der Unsicherheit ist für die Mitarbeitenden so kurz wie möglich zu halten, was eine effiziente Durchführung des Projektes bedarf. Spätestens während der Integrationsphase sind die Mitarbeitenden als «Betroffene» zu «Beteiligten» zu machen und in die Projektarbeiten zu involvieren. Sie sollen damit die Gelegenheit erhalten, in der Ausgestaltung des fusionierten Unternehmens (bspw. bezüglich Werte, Kultur, Systeme, Prozesse) ihren Beitrag leisten zu dürfen.
  • Es empfiehlt sich, Vertreter der Eigentümerschaft sowie des Unternehmens (Verwaltungsrat und Geschäftsleitung) frühzeitig in die Projektorganisation einzubinden. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass die Rückkoppelung der im Projekt getroffenen Entscheide sowie der Informationsfluss über den aktuellen Projektstand zeitnah in die Entscheidungsgremien erfolgt. Die Vertreter haben über die notwendige zeitliche Verfügbarkeit zu verfügen und sind im Idealfall mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet, im Rahmen der von ihren Gremien gesetzten Leitplanken selbständig Entscheide zu fällen. Dem Projekt gegenüber kritisch eingestellte Vertreter sind frühzeitig zu identifizieren und allenfalls in die Projektorganisation einzubinden.
  • Eine sorgfältige Planung und Vorbereitung des Projekts sowie ein strukturiertes, professionelles Projektmanagement und klare Entscheidungswege geben allen involvierten Parteien Sicherheit. Unvorhergesehenen Entwicklungen kann in einer etablierten Projektstruktur besser begegnet werden.
  • Über eine regelmässige und transparente interne sowie externe Kommunikation sind die unterschiedlichen Anspruchsgruppen stufengerecht über den Projektfortschritt zu informieren. Geeignete Kommunikationsmassnahmen erfolgen gemäss Konzept, erlauben jedoch auch eine rasche, situative Reaktion auf sich ändernde Umstände.

5. Fazit

Es wird sich zeigen, ob und in welcher Form die heutigen und zukünftigen Herausforderungen zu einer Beschleunigung der strukturellen Transformation im Schweizer Strommarkt führen werden und wie nachhaltig diese Entwicklung ist. Eine Zunahme von Aktivitäten bezüglich Strukturüberprüfungen und Kooperationsevaluationen ist bereits heute feststellbar.

Die Durchführung einer Fusion von VNB im kommunalen Eigentum ist komplex. Sie kann erfolgreich gemeistert werden, wenn den Herausforderungen des «Fusions-Trilemma» frühzeitig proaktiv begegnet wird. Aber der schlussendlich wichtigste Faktor ist wohl ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis unter den involvierten Parteien, ohne welches eine Fusion gar nicht erst initiiert werden kann. Dieses gilt es über alle Projektphasen hinweg bestmöglich zu wahren.


 

Verweise

Bildnachweis: BlueWillow AI ("Text to Picture" KI-Bildgenerator)

1) Allein dieser Effekt wird mit +1.2 Rp./kWh für die sog. «Winterreserve» zu Buche schlagen.

2) Siehe auch EVU Partners; «Führen die hohen Marktpreise nun zu einer Konsolidierung in der Strombranche?» (2022).

3) Gemäss Stromversorgungsgesetz (StromVG) und Stromversorgungsverordnung (StromVV).

4) Vgl. Stand Beratung Mantelerlass gemäss amtlichem Bulletin vom 8. Juni nach Beschlussfassung Ständerat.

5) Vgl. EVU Partners; «Effizienzdruck durch mehr Transparenz in der Stromversorgung» (22.06.2023).

6) Siehe auch EVU Partners; «Kritische Grösse von Verteilnetzbetreibern» (04.04.2017).

7) Bspw. Kanton Aargau: Gesetz über die Information der Öffentlichkeit, den Datenschutz und das Archivwesen (IDAG).

8) Bundesgesetz über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (FusG).

Lukas Lang

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